Chronik meiner Compostela-Pilgerreise

Ein Monat auf dem Jakobsweg

Eindrücke, Erfahrungen und Erkenntnisse einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela

von Hans-Peter Weuthen

14. April 2008

Endlich ist es soweit, ich bin bereit den Camino Francés zu laufen. Eines vorweg: Nein, ich wurde nicht von Hape Kerkeling inspiriert. Der Gedanke, auch einmal diesen Weg zu gehen, kam mir schon 2001, nach meiner ersten Wallfahrt nach Trier, als meine Matthias-Geschwister Uschi, Helmut, Bernd und Berti von ihrer Compostela-Pilgertour zurück kehrten. Seitdem schiebe ich den Vorsatz von Jahr zu Jahr vor mir her. Es war unsere Freundin Hanna, die im Herbst letzten Jahres meinte, wenn ich den Weg gehen wollte, sei es langsam an der Zeit, ich würde schließich auch nicht jünger. Ein Bekannter von ihr wäre im letzten Jahr den Camino gelaufen, sei völlig geschafft heimgekehrt und fasse seitdem keine Wanderschuhe mehr an. Wo Hanna Recht hat, hat sie Recht.
Also begann ich mit der Planung. Bis in den April hinein muß man in den Pyrenäen und im Oca-Gebirge noch mit Schnee rechnen, ab Ende Mai schwillt der Pilgerstrom deutlich an. Ich möchte weder auf der Isomatte schlafen, noch an der täglichen Reise nach Jerusalem um einen Platz in der Herberge teilnehmen, daher fiel meine Entscheidung auf die Zeit Mitte April bis Mitte Mai. Im Dezember stöberte ich im Internet nach günstigen Flügen und wurde bei Ryanair fündig. Von Hahn im Hunsrück nach Biarriz am 15.4.08 um 11.00 Uhr und zurück von Santiago de Compostela nach Hahn am 15.5.08 um 9.40 Uhr einschließich aller Nebenkosten (die Nebenkosten machen bei Ryanair oft ein Mehrfaches des eigentlichen Ticketpreises aus) für sage und schreibe 94 €. Für die An- und Abfahrt Flughafen Hahn gibt es ab Köln einen Zubringerbus und zwischen Mönchengladbach und Köln fährt ja die Deutsche Bahn AG. Da ich in Köln nur 10 Minuten Zeit habe um von Gleis 4 zum ZOB am Breslauer Platz zu kommen, arbeitete ich vorsorglich noch zwei Alternativen aus. Seit Anfang des Jahres habe ich regelmäßg mit meinen SMB-Freunden trainiert, ein Paar neue Wanderschuhe sind gut eingelaufen, ich fühle mich fit. Nur das Gewicht meines Rucksacks macht mir Sorge. In den Pilgerberichten im Internet wird empfohlen, nicht mehr als 9 kg mitzunehmen. Ich habe alles einzeln mit der Küchenwaage gewogen, etliches schon zurückgelassen bzw. gegen Leichteres ausgetauscht und komme immer noch auf 11 kg ohne Wasser und Proviant. Helmut Henrix meint, er habe 2001 auch über 12 kg gehabt, man gewöhne sich daran. Sein Wort in Gottes Ohr. Hier angekommen, möchte ich erwähnen, daß ich von einigen Freunden angesprochen wurde, ihre Anliegen und Sorgen mit nach Compostela zu nehmen. Diese Bitten nehme ich sehr ernst. Ich habe einige Kieselsteine gesammelt, die ich symbolisch der Jahrhunderte alten Pilgertradition folgend auf dem Steinhaufen am Fuß des Cruz de Ferro, mit 1510 m dem höchsten Punkt des Camino, ablegen werde. Von meinen Matthias-Geschwistern, meinen Freunden und meinem Sohn nebst Freundin Melanie wurde ich mit den besten Wünschen verabschiedet.

Eine wahrscheinlich unruhige Nacht noch, dann geht es endlich los.

15. April 2008
Schwalmtal - Saint-Jean-Pied-de Port

Um 3.50 Uhr laufen zwei Wecker ab. Zeit genug, um noch zu frühstücken. Renate, meine Frau fährt mich zu Bahnhof. Der Zug wird erst in Mönchengladbach eingesetzt und fährt pünktlich um 4.40 Uhr los. Da die Waggons die Nacht über im Bahnhof standen, ist es einem Nicht-Sesshaften gelungen, samt Fahrrad und diverser Plastiktüten in einem Wagen zu nächtigen. Es stinkt bestialisch, ich gehe einen Wagen weiter. Leider ist die einzige Toilette des Kurzzuges wegen eines Defekts gesperrt.
Der Zug erreicht Köln pünktlich, so dass ich den Zubringerbus problemlos erreiche. Es ist jedoch nicht der komfortable Doppeldecker mit Bord-WC, den ich vor drei Wochen am gleichen Bussteig sah, sondern ein einfacher Reisebus. Das kann ja heiter werden, der Kaffee drückt und der nächste Stopp ist erst in Koblenz. Nach einer Stunde bin ich fast soweit, den Fahrer zu bestechen, einen Rastplatz anzusteuern. Ein vor mir sitzendes Paar scheint das gleiche Problem zu haben. Sie sind diese Strecke schon mal gefahren und erinnern sich, daß der Bus in Koblenz ca. zehn Minuten Aufenthalt hat und ein Café gegenüber dem ZOB schon geöffnet hat. Um 7.00 Uhr erreichen wir Koblenz. Wir bitten den Fahrer, in jedem Fall auf uns zu warten und stürmen los. Den Verkäuferinnen im Café ist die Situation offensichtlich vertraut; sie weisen gleich in Richtung WC. Geschafft, einen großzügigen Obulus entrichtet und den Bus wieder rechtzeitig bestiegen. Den Rest der Fahrt über die Hunsrück-Höhenstraße via Kastellaun bis zum Flughafen genieße ich wie auf Wolke sieben. Warum ich solch einem profanen Thema soviel Bedeutung zumesse ? Man stelle sich vor, meine Pilgerreise wäre fast schon zu Beginn sprichwörtlich in die Hose gegangen.
Der Flughafen Hahn ist ein alter amerikanischer Militärflughafen, der seit Jahren u.a. von mehreren Billigfliegern genutzt wird. Zunächst fährt man lange zwischen nicht mehr genutzten Flugzeug-Hangars und militärischen Anlagen durch um dann mitten im Gelände ein modernes Terminal mit der üblichen Infrastruktur wie Parkhaus, Mietwagen, Hotels usw. zu finden. Bis zum Öffnen des Check-In-Schalters ist es noch eine halbe Stunde, also gehe ich erst mal ins Bistro frühstücken. Punkt 9.00 Uhr öffnet der Schalter. Hektische Betriebsamkeit in der Warteschlange. Überall werden Rucksäcke in Plastiktüten verpackt oder die Riemen mit Klebeband befestigt. Ein gutes Dutzend Fahrräder werden auch aufgegeben. Normales Gepäck relativ wenig. Jemand meint, zwei Drittel der Passagiere ist für den Camino ein Drittel will nach Lourdes. Das Kölner Paar aus dem Bus steht vor mir. Sie waren im letzten Jahr schon einmal von St.-Jean-Pied-de-Port aus gestartet, mußten aber aufgrund eines Todesfalles in der Familie in Pamplona wieder abbrechen. Hier werden sie dieses Jahr wieder einsteigen.
Beim Einchecken meines Rucksacks eine Überraschung. Die Waage zeigt 12,4 kg. Wenn ich jetzt noch einen Liter Wasser und etwas Proviant hinzurechne, bedeutet das, ich werde mehr als 14 kg durch die Gegend schleppen. Ohne Handgepäck geht es zügig durch die Sicherheitskontrolle. Beim Warten auf den Einstieg in die Maschine unterhalte ich mich mit einem Bikerpaar aus Hessen. Sie wollen nicht nach Compostela, sondern die französische Atlantikküste entlang fahren. Sie interessieren sich für meinen Zeitplan und sind etwas skeptisch, daß ich im Schnitt jeden Tag fast 30 km laufen will. Ich erwähne meine alljährliche Wallfahrt nach Trier und daß wir da jeden Tag ca.50 km laufen. Daraufhin meldet sich zwei Reihen hinter uns ein Mann und fragt in welcher St.Matthias-Bruderschaft ich sei. Wir stellen uns vor und ich erfahre, daß Walter D. in der SMB Neuwerk ist und auch schon oft nach Trier gepilgert ist. Jetzt ist er wie ich auf dem Weg nach Compostela. Sein Rückflug geht zwei Tage später als meiner, so beschließen wir zusammen zu starten. Wir behalten uns vor, wenn unsere Kondition und das Lauftempo zu verschieden sind, auch wieder allein zu gehen. Walter ist bereits gestern per Leihwagen nach Hahn gekommen und hat im BB-Hotel am Flughafen übernachtet.
Wir starten pünktlich um 11.00 Uhr und landen nach einem ruhigen Flug 15 Minuten vor Plan in Biarritz.Walter hatte von zu Hause bereits die erste Übernachtung in der privaten Herberge Orisson 8 km hinter St.-Jean-Pied-de-Port gebucht. Da auch ich vorhabe, heute noch ein paar Kilometer zu laufen, ruft Walter vom Flughafen aus an, ob im Orison noch ein Bett frei ist. Dabei bemerke ich, daß Walter fließend französisch spricht, was nicht verwunderlich ist, denn seine Frau ist Französin und auch er hat die doppelte Staatsangehörigkeit. Ich habe Glück und reserviere das letzte Bett.
Der Bus vom Flughafen Biarritz zum Bahnhof im benachbarten Bayonne ist voll mit Rucksackträgern. Wir nehmen den 15.00 Uhr Zug nach St-Jean und zockeln eine Stunde gemächlich immer entlang des Flusses Nive. Bei der Ankunft stürmen alle los, um möglich als erste im Pilgerbüro anzukommen, denn hier gibt es nicht nur den ersten Stempel, sondern alle Pilger werden als gestartet registriert und bekommen eine kurze Unterweisung für die Überquerung des Ciso-Passes. Wir nehmen das einzige Taxi vor dem Bahnhof und sind deshalb als erste registriert.
Als wir das Pilgerbüro verlassen, kommen die nächsten angehetzt und es bildet sich eine lange Schlange. Ich schätze, bis die letzten ihr Credencial haben, ist es eine Stunde später. St.-Jean-Pied-de-Port heißt auf Baskisch Donibane Garazi, ist die Hauptstadt von Nieder-Navarra und ein hübscher Fremdenverkehrsort mit Altstadt und einer Zitadelle aus dem 17. Jh. Auf diese Zitadelle machen wir einen kurzen Abstecher, nehmen ein paar Fotos, dann geht es runter über die Nive durch die Porte d 'Espagne auf den Cemin de St-Jaques-de-Compostelle, der bis Roncesvalles auch Route Napoleon genannt wird.
Der mittelalterliche Jakobsweg führte durch das Tal der Nive. Anfang des 19. Jh. erschlossen die napoleonischen Truppen jedoch einen neuen Weg über die Berge, um bei der Invasion Spaniens nicht in dem engen Tal der Nive überfallen zu werden. Dieser Weg ist unvergleichlich schöner, denn er bietet herrliche Ausblicke auf die umliegenden Berge. Allerdings ist er auch anstrengender, denn er steigt bis auf 1420 m an.
Auf asphaltierter aber weitgehend autofreier Straße geht es stetig steil bergauf. Die Landschaft gleicht dem Allgäu, Weideflächen, Kühe, Schafe und auf der linken Seite die schneebedeckten Pyrenäen. Nach 5 km passieren wir Huntto mit der Herberge Ferme Ithurburia, links das alte Wirtshaus und auf der rechten Seite die neuen Unterkünfte. Noch 3 km und wir erreichen unser gebuchtes Quartier, die Auberge Orisson. Nach rechts in den Hang gebaut im Erdgeschoß die Gaststube mit Bar und langer Tafel mit Holzbänken, und oben, hangseitig von außen zu betreten, die Schlafräume. Links von der Straße ist eine Terrasse mit herrlichem Panoramablick gebaut, die im Souterrain noch zwei Schlafräume hat. Wir bekommen ein Zimmer mit 3 Doppelstockbetten im Haupthaus zugewiesen. Unsere Mitbewohner sind Caroline, eine kräftige Schweizerin um die 50, Lynn und Marie zwei Franco-Kanadierinnen und Nabuyo, eine ältere Japanerin, die sechs Jahre in der Schweiz lebte und deutsch spricht.
Um 19.30 Uhr ruft der Wirt, ein freundlicher, junger Baske, zum Abendessen. An der langen Tafel versammeln sich 24 hungrige Pilger aus 6 Ländern. Es gibt Suppe, Lamm mit weißen Bohnen, Brot, Wein, Dessert. Die Gespräche sind lebhaft, ein Gewirr von französisch, englisch und deutsch. Gegen 22.00 Uhr ist alles in den Betten. Ich bin rechtschaffen müde; es war ein langer, erlebnisreicher Tag und letzte Nacht habe ich sehr wenig geschlafen. Vorsorglich stopfe ich meine Stöpsel in die Ohren und schlafe sofort ein. Irgendwann werde ich wach und höre durch meine Ohrstöpsel ein fürchterliches Schnarchen. Zunächst habe ich Walter in Verdacht, weil wir beide die einzigen Männer im Raum sind. Nach Entfernen der Stöpsel höre ich jedoch, daß das Schnarchen aus der Schweizer Ecke kommt. Ich habe weiss Gott auf unseren Trierwallfahrten schon heftige Schnarcher erlebt, aber Caroline stellt sie alle in den Schatten. Wenn ich nicht genau wüßte, daß es eine Frau ist, würde ich annehmen, dort schnarcht ein zwei Meter großer, 120 kg schwerer Holzfäller. Nur hin und wieder ausgestoßene spitze Schreie verraten die weibliche Herkunft. Ich verschließe meine Ohren wieder und schlafe den Rest der Nacht fest und traumlos weiter.

Landeanflug auf Biarritz Saint-Jean-Pied-de-Port, Pilgerbüro
Saint-Jean-Pied-de-Port, die Nive Blick auf die Pyrenäen

16. April 2008
Saint-Jean-Pied-de Port - Espinal

Es ist gegen sieben noch relativ dunkel als das allgemeine Aufstehen beginnt, man merkt, dass die Sonne hier im äußersten Westen Europas später aufgeht. Caroline räkelt sich und verkündet, sie habe wunderbar geschlafen. Die anderen vier schauen sich verständnislos an, nur Nabuyo meint mitfühlend: "Ob sie wohl weiß dass sie so schnarcht, man müsste es ihr sagen". Walter ist da schmerzfrei und spricht sie an. Ja, sie wisse, dass sie hin und wieder schnarche und es würde ihr leidtun, wenn sie uns gestört hätte. Bei künftigen Übernachtungen werden wir darauf achten, ob Caroline anwesend ist. Der Schlafsack wird eingerollt und die Morgentoilette erledigt.
Das Frühstück findet wieder an der langen Tafel statt. Es gibt Milchkaffee, geröstetes Brot, Butter und Marmelade. Wir bestellen noch ein Baguette zum Mitnehmen und füllen unsere Wasserflaschen. Nabuyo steht draußen und begrüßt mit ausgestreckten Armen die Sonne. Die Wanderschuhe werden angezogen, der Rucksack geschultert und gegen 8.00 Uhr machen wir uns ziemlich als letzte auf den Weg Richtung Ciso-Pass. Der Pass ist erst seit drei Tagen wieder offen. Vor einer Woche hat es noch so stark geschneit, dass er für Pilger nicht passierbar war. Die Sonne kommt langsam hoch, aber es ist kalt. Ein starker Wind bläst uns von den Schneefeldern aus entgegen. Nach und nach überholen wir alle vor uns Gestarteten. Der Asphaltweg führt ziemlich direkt und weniger in Serpentinen steil nach oben. Nach 3 km sehen wir links die Marienstatue und nach einem weiteren Kilometer zweigt nach rechts eine Straße ab. Dieses ist die Stelle, an welcher man bei plötzlich auftretendem Nebel oder Schneefall wieder sicher ins Tal kommt. Die Straße führt zur Nationalstraße hinunter nach Arnegy. Allerdings müsste man jetzt den Aufstieg auf der Nationalstraße neu beginnen. Wir haben Sonnenschein und blauen Himmel und gehen weitere 4 km bergauf bis zu einem Steinhaufen, an dem wir den Asphaltweg verlassen. Auf der Nordseite des Berges, wohin keine Sonne fällt, wird der Pfad durch Schneereste und Eichenlaub zum knöcheltiefen Morast. Ein Ausweichen ist nicht möglich, denn zur Rechten gibt es einen Stacheldrahtzaun, der einen dichten Steineichenwald eingrenzt und links ist der Hang. Um 10.30 Uhr erreichen wir die Rolandsquelle und setzen zum ersten Mal die Rucksäcke ab. Wir legen die längst überfällige Pause ein, füllen die Wasserflaschen mit frischem Quellwasser und essen etwas. Weiter geht's. Nach 150 m zeigt ein Stein, dass wir das spanische Navarra betreten. Nun geht es zunächst auf einem breiten Bergweg 2 km leicht bergab und dann wieder 2,3 km steil bergauf zum Ciso-Pass der höchsten Stelle unserer Pyrenäenüberquerung. Inzwischen ist es 12.00 Uhr. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, entweder geradeaus den steilen Abstieg durch den Wald oder nach rechts über einen Umweg zum Ibañetapass (1.057 m) und dann parallel zur Nationalstraße nach Roncesvalles.

über den Pass von Ibañeta zog im Jahr 778 das Heer Karls des Großen auf dem Rückzug von seinem Spanienfeldzug gegen die Mauren, als bei Roncesvalles die Nachhut von den Basken überfallen wurde. Der Graf der Bretagne, Roland, der diese Truppe anführte, fand dabei den Tod.

Wir stehen nicht so auf Umwege und wählen den direkten Weg durch den Wald, was wir bald bereuen. Denn dieser Hohlweg ist nicht nur steil, glitschig und schlecht markiert, sondern zu allem Überfluss auch noch von mehreren Motocross-Maschinen geradezu umgepflügt. Mehr rutschend als laufend geht es so vier Kilometer abwärts und wir schaffen es nur dank unserer Wanderstöcke nicht zu stürzen. Als der Weg endlich besser wird, treffen wir eine spanische Familie, die wir nach dem Camino fragen, denn wir haben seit längerem keine Markierung mehr gesehen. Unsere Richtung stimmt und nach einer Viertelstunde kommen wir zur Abtei von Roncesvalles. Hier gibt es eine große Herberge mit 100 Betten und eine Jugendherberge. Die meisten Pilger beenden hier ihre Tagesetappe. Wir lassen uns den Pilgerpass stempeln und besichtigen die Kirche der Abtei.
Nach einer längeren Pause beschließen wir, da es erst 14.00 Uhr ist, noch ein paar Orte weiter zu laufen, um morgen nach Möglichkeit Pamplona zu erreichen. Ein schöner Weg führt uns über Burguete nach Espinal. Im Zentrum von Espinal finden wir den Hinweis auf mehrere Casa Rurales. Ein junger Mann, den wir nach einer Empfehlung fragen, bringt uns augenzwinkernd zum Besten, dem Haus seiner Schwester. Es ist tatsächlich ein sehr schönes Haus mit kleinem landwirtschaftlichen Betrieb. Drei Hunde, zwei Collies und eine Promenadenmischung liegen angebunden vor der Haustür, die offensichtlich nicht verschlossen ist. Von der Schwester ist nichts zu sehen. Der junge Mann ruft sie mittels Handy und kurze Zeit später kommt eine junge Frau mit einem Mountainbike angeradelt. Es gibt vier Gästezimmer, alle noch frei. Der Preis ist ok. und die Wirtin macht uns Vorschläge für das Abendessen. Wir bekommen ein sehr schönes Zimmer, und sitzen sehr bald nach einer Dusche und kleiner Wäsche auf dem Rasen vor dem Haus in der Sonne. Die Wachhunde scheinen schon begriffen zu haben, dass wir zum Haus gehören und lassen sich von uns kraulen.
Da kommen plötzlich noch 4 Pilger die Straße entlang, ein älteres Paar, welches ich auch schon im Orisson gesehen hatte, und zwei Männer. Sie belegen die restlichen drei Zimmer und so sitzen wir sechs etwas später am schön gedeckten Tisch beim Abendessen. Es gibt Knoblauchsuppe und Fischsuppe als Vorspeise, ein leckeres Pilzragout, Brot, Wein und Dessert. Bei noch mehr Wein sitzen wir noch länger zusammen, und erfahren, dass das ältere Paar Matthiasgeschwister aus Neersen sind, und von den beiden Männern, einer ein Naturwissenschaftler ist. Ein Dr. rer. nat. um die 60, der sich wie er sagt, seiner neuen Freiheit erfreut. Er lässt es offen, ob diese neue Freiheit beruflich oder familiär zu sehen ist. Rückblickend auf die überstandene Pyrenäenüberquerung meint er, was jetzt noch an Bergen kommt ist nicht mehr so toll. Im Grunde geht es nur noch runter. An den Spruch werden wir noch oft denken.

Müde von soviel frischer Luft , 28 gelaufenen Kilometern und gutem Rotwein liegen alle um Zehn in der Falle.

Aufstieg zum Ciso-Pass Rast an der Rolandsquelle
letzter Schnee am Ciso-Pass Immer dem gelben Pfeil nach

17. April 2008
Espinal - Pamplona

Super geschlafen. Aber in der Nacht hat Regen eingesetzt, dabei wollen wir heute noch bis Pamplona. Zunächst nehmen wir ein gemeinsames Frühstück ein. Die Wirtin hat Kaffee in Thermoskannen bereitgestellt, Brot, Butter, Marmelade und Milch sind reichlich vorhanden. Bezahlt haben wir schon gestern Abend. Unsere vier Mitbewohner brechen früh auf, alle auf Sandalen ! Wir trinken in Ruhe noch eine weitere Tasse Kaffee in der Hoffnung, der Regen lässt nach. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllt, starten auch wir mit Regencape und Gegenwind. Bis Viscarret geht es meist auf einem gepflasterten Wanderweg. Nach Linzoain beginnt ein Aufstieg über 400 Höhenmeter auf gut markierten aber aufgeweichten Waldwegen bis auf die Passhöhe von Erro (801m). Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Nun geht es 3 km steil bergab, bis zur mittelalterlichen Brücke von Zubiri über den Fluss Arga.

Zubiri ist baskisch und bedeutet "Ort an der Brücke". Die Brücke hat den Beinamen puente de la rabia (Tollwutbrücke). Die Legende erzählt, dass tollwütige Tiere dreimal unter der Brücke durchgeführt werden mussten und so von der Tollwut geheilt wurden.

Keiner von uns beiden hat Schaum vor dem Mund. Deshalb ersparen wir uns die Prozedur und überqueren die alte Brücke, hinter welcher der Fluss in mehreren Stufen kaskadenartig talwärts fließt. Hinter Zubiri geht es wieder auf die andere Seite des Rio Arga und wir gelangen zu einer hässlichen Magnesitfabrik mit einem riesigen Betriebsgelände, das einer Mondlandschaft gleicht. Hier verlieren wir den Weg, werden aber von einem freundlichen Spanier nach wenigen Metern wieder auf den Camino geschickt. Vorbei an Larrasoaña geht es nach Trinidad de Arre, welches schon zu Villava, einer Vorstadt von Pamplona gehört. Inzwischen regnet es wieder. Noch eine Stunde laufen wir durch die Vororte von Pamplona bevor wir über die alte Magdalena-Brücke den Rio Arga überqueren. Gleich links hinter der Brücke kommen wir nach 300 Metern zur Casa Paderborn, einer kleinen Pilgerherberge, die vom Freundeskreis der Jakobuspilger Paderborn unterhalten wird. Die Aufnahme durch die beiden deutschen Hospitaleros Roswitha und Wolfgang ist sehr freundlich. Als erstes wird uns etwas zu trinken angeboten und während Wolfgang und wir noch mit den Aufnameformalitäten beschäftigt sind, trägt Roswitha bereits unsere Rucksäcke aufs Zimmer und hängt unsere nassen Ponchos zum Trocknen auf. Wir stopfen unsere Wanderschuhe mit alten Zeitungen aus, in der Hoffnung, dass sie bis morgen einigermaßen trocken sind. Nach einer heißen Dusche geht es in Sandalen und Clogs vorbei an der alten Stierkampfarena in die Innenstadt. Der Regen kommt jetzt nur noch in kurzen Schauern, dazwischen gibt es sonnige Abschnitte.

Pamplona wurde als römische Siedlung wahrscheinlich von Pompeius gegründet. Vom 9.Jh. bis 1512 war Pamplona Hauptstadt des Königreichs Navarra und blieb auch nach der Eingliederung in Spanien immer die Hauptstadt der Region Navarra. Heute ist Pamplona durch die alljährlich vom 6. bis 14. Juli stattfindenden Festlichkeiten zu Ehren des Patrons von Navarra San Fermin, mit den allmorgendlichen Stierläufen, bekannt. Während dieser Zeit bleiben die Pilgerherbergen geschlossen und es empfiehlt sich, Pamplona zu durchqueren, die Feststimmung zu genießen und weiterzuziehen.

Zum Abendessen wurde uns von unseren Hospitaleros das Restaurant eines nahe gelegenen Sportclubs empfohlen, zu welchem die Pilger aus der Casa Paderborn Zutritt haben. Wir nehmen eine junge Frau mit, die zwar keinen Platz mehr in unserer Herberge gefunden hat und deshalb in einem kleinen Hotel in der Innenstadt wohnt, aber zum Essen den Kreis der Pilger sucht. Sie heißt Birgit und kommt aus Wien. Sie beklagt sich bitter, dass sie den ganzen Tag allein unterwegs war und vor lauter Verzweiflung mit den Pferden und Schafen am Weg gesprochen hat. Und das alles mit dem schönsten "Weaner Schmäh". Birgit könnte eine Zwillingsschwester von Anke Engelke sein. Ich fühle mich fast etwas verschaukelt, denn den Wiener Dialekt traue ich Anke Engelke auch zu. Nach Hape Kerkeling jetzt auch Anke Engelke auf dem Camino? Ich halluziniere oder es liegt wohl an dem wunderbaren Rotwein, den es zum Pilgermenue gibt.

Zurück in der Herberge finden wir in unserem Zimmer (eigentlich zwei 4-Bett Zimmer, durch eine Schiebetür getrennt) 5 Italiener m/w, und Ulla aus Dänemark, die mit in unserem Abteil schläft. Walters heutiges Kapitel in seinem Tagebuch hat deshalb die Überschrift: "Mit Birgit aus Wien gespeist und mit Ulla aus Dänemark geschlafen".

Wunschdenken männlicher Compostelapilger !

Abtei Roncesvalles Brücke von Zubiri
Brücke von Zubiri Pamplona

18. April 2008
Pamplona - Cirauqui

Um 6.00 Uhr ruft Wolfgang in alle Räume: "Aufstehen, es ist Pilgerzeit !" Die Nacht war durchwachsen. Die Italiener im ersten Raum hatten sich geweigert, das Fenster zu öffnen; zum Glück gibt es in unserem Raum noch ein kleines Fenster. Walter hat es erwischt, in einer Stunde 4 mal zum WC, war es die Fischsuppe oder das Hähnchen, ist hier die Frage. Zum Glück hatte ich vor der Abreise noch ImodiumAkut besorgt. Das Zeug soll jetzt mal beweisen, was die Werbung verspricht. Morgentoilette, 3 Waschbecken für 24 Leute, alles nur eine Frage der Organisation. Ebenso das Frühstück in dem kleinen Tagesraum mit den drei Tischen. Da auch hier nicht alle gleichzeitig erscheinen, gibt es kein Platzproblem, Roswitha bedient uns wie eine Mutter. Sie schenkt Kaffee und Tee aus, bringt ständig frischen Toast, Butter und Marmelade sind reichlich vorhanden. Lediglich der Blick aus dem Fenster trübt die Freude am guten Frühstück. Es regnet Bindfäden. Ich war mir in der Nacht schon nicht sicher, ob das Rauschen<, welches durch das Fenster drang, nur von dem am Haus vorbei fließenden Rio Arga war. Beim Frühstück kommen wir mit einem jungen Mann ins Gespräch, der wie wir am Dialekt hören, aus unserer Heimat ist. Er kommt aus Hehn und ist mit einem Pilger aus Österreich unterwegs. Sie starten eine Weile vor uns.

Um 7.15 Uhr sind wir startklar, die Rucksäcke geschultert, den Regenponcho übergeworfen. Die beiden Hospitaleros verabschieden jeden, shake hands mit Wolfgang, Roswitha drückt uns und los geht's. Die ersten Kilometer durch die Vorstadt sind noch o.k. Einzelne Wartende an den Bushaltehäuschen schauen uns mitleidig nach. Aber nach einer Stunde, hinter Cizur Menor beginnt der Weg zu steigen. Auf den nächsten 6 km auf wechselndem Untergrund, wird der Boden immer schwerer und die Pfützen größer. Hinter dem Dorf Zaraquiegui geht es auf eine Schlammpiste, die steil auf die Höhe der Windräder in 700 m ansteigt. Der Camino ist hier ein Hohlweg, auf dem wie es scheint, die gesamten Wassermassen des Berghangs hinunterschießen. Wir gehen, wie schon andere Pilger vor uns, über die angrenzenden Felder. Aber hier versinkt man knöcheltief in dem roten Ackerboden. Die Schuhe werden bleischwer, die Laune sinkt auf einen Tiefpunkt als wir einen Bach überqueren müssen. Die Steine, die hierzu normalerweise benutzt werden, sind allesamt überflutet. Wir balancieren über einen umgestürzten, glitschigen Baumstamm, mit Rucksack und Regencape bei strömendem Regen und heftigem Wind und haben nur den Gedanken: Nicht abrutschen ! Dank unserer Wanderstöcke, die sich für mich neben den Ohrenstöpseln als wichtigstes Requisit der Tour erweisen, schaffen wir auch dieses Hindernis. Endlich, nach ca. 14 km und fast 4 Stunden gelangen wir zur Passhöhe Puerto del Perdon. Hier auf dem Bergrücken "Wo der Weg der Winde mit dem Weg der Sterne zusammentrifft" stehen 40 gigantische Windräder. Der Wind ist hier auf der Passhöhe so stark, dass es mich mit meinem Regenponcho fast umwirft. Auf der Abrisskante zum Tal gibt es eine Stahlskulptur, welche scherenschnittartig überlebensgroß eine Pilgergruppe mit Pferden und Eseln darstellt. Wir überqueren eine Landstraße und gehen auf steinigen Wegen bergab bis Uterga. Unterwegs spüre ich, daß sich ein Druckstellenpflaster gelöst hat und sich unter der Fußsohle zusammenballt. Es hilft nichts, trotz Regen und Wind, auf einem Bein plus Stock balancierend den linken Schuh und Strumpf aus, das Pflaster entfernt, Strumpf und Schuh wieder an und weiter geht's. Nach 22 km und mehr als 5 Stunden kommen wir nach Obanos. Auf dem monumentalen Hauptplatz setzen wir zum ersten Mal für heute die Rucksäcke ab und machen eine Pause. Das Wetter hat inzwischen aufgeklart, nur der Wind bläst noch saukalt. Gegen halb Zwei erreichen wir Puente la Reina wo die beiden bedeutendsten Jakobswege, der Aragonesische und der Navarrische, zusammentreffen .

Der Ort verdankt seinen Namen der Brücke, die im Auftrag der Königin (span. Reina) von Navarra im 11. Jh. gebaut wurde, um den Pilgern die Flussquerung des Arga zu erleichtern. In Puente la Reina erkennt man besonders deutlich die langgezogene mittelalterliche Pilgerstraße, die sogenannte sirga peregrinal, an der entlang sich die Ortschaften des Jakobsweges gebildet haben. Besonders in den kleineren Ortschaften, die sich seit dem Mittelalter kaum verändert haben, ist die heutige Hauptstraße nach wie vor mit der alten Pilgerstraße identisch.

Am Ortseingang links, gegenüber der Kirche des Kreuzes, deren Turm wie fast alle Kirchtürme entlang des Pilgerwegs mehrere Storchennester zieren, gibt es im Priesterseminar eine große Herberge mit 72 Betten. Walter legt keinen großen Wert darauf in Massenquartieren zu schlafen. Da es noch früh ist, passieren wir die berühmte Brücke und laufen weiter bis Cirauqui, wo es die kleine aber feine private Herberge mit Namen Maralotx gibt. Wir haben Glück. Walter bekommt sein heiß ersehntes Einzelzimmer, mir reicht ein Bett im Schlafsaal. Jetzt wird erst mal heiß geduscht, Socken, Unterwäsche, Hemd und Hosenbeine gewaschen. Schwieriger ist es mit den Wanderschuhen. Gegenüber der Herberge, an der Kirchenmauer gibt es einen öffentlichen Brunnen, an dem ein freundlicher Mensch sogar eine Wurzelbürste deponiert hat. Mit ihrer Hilfe und viel Wasser werden unsere Wanderschuhe wieder halbwegs sauber. Um 18.00 Uhr öffnet der kleine Laden in der Nähe der Herberge. Wir kaufen etwas Proviant, da es in der Herberge kein Frühstück gibt. Dafür soll das Abendessen nach der Pilgermesse sehr gut sein.
Doch die Pilgermesse fällt wegen Personalmangel aus, also genehmigen wir uns vor dem Essen noch einen kleinen Roten. Die Kellerbar, von der Seitenstraße ebenerdig zu betreten, ist vom Feinsten. Zwei wunderschön restaurierte Gewölbe, gut möbliert, mit großen Tischen. Hier finden wir uns alle sprachlich sortiert zum cena, dem Spanischen Abenessen, ein. Wir sind wie bisher überall gut gemischt: Ein paar Franzosen, Italiener, ein australisches Pärchen, sie eine junge gebürtige Russin, die vor sechs Jahren mit ihren Eltern nach Australien auswanderte, er ein junger Australier. Dann gibt es noch Theo aus Köln, den ich schon am Nachmittag auf der Terrasse kennen lernte. Er ist 53, mehrfach vom Leben enttäuscht und nach eigener Aussage ein Aussteiger. Seine Ehe ging in die Brüche ebenso seine berufliche Existenz, die er sich mühsam aufgebaut hatte. Nach der übernahme der Firma für die er arbeitete, durch einen Investor, war seine Arbeit nicht mehr gefragt. Zu allem Übel wurde dann bei ihm noch Hautkrebs diagnostiziert. Nachdem dieser erfolgreich bekämpft wurde, stellte Theo sich die Frage nach dem eigentlichen Sinn des Lebens und kam zu der Erkenntnis, jeder Tag sei ein Geschenk und zu kostbar, um mit der Jagd nach Erfolg und dem schnöden Mammon vergeudet zu werden. Er arbeitet heute nur noch soviel, um das nötigste zum Leben zu haben und seine Ansprüche sind gering. Für ihn gibt es nichts schöneres, als sich in der freien Natur zu bewegen, mit der er sich im Einklang fühlt. Es ist sein zweiter Camino, im September 2006 ist er schon einmal nach Santiago gelaufen. Er macht uns Hoffnung auf den Weg der kommenden Tage und ist der Meinung, auch bei Regen wären die Wege nicht mehr so aufgeweicht.

Nach dem Essen gehen alle sehr früh zu Bett. Mein Schlafraum hat 8 Doppelstockbetten, von denen nur 4 belegt sind. Um 22.00 Uhr ist alles dunkel, nur der junge Aussi arbeitet noch mit seinem Handy-PC.

Passhöhe Puerto del Perdon Kirche in Obanos
Puente la Reina Kirche in Cirauqui

19. April 2008
Cirauqui - Los Arcos

Es war eine sehr ruhige Nacht, keiner hat geschnarcht. Erholt durch 9 Stunden Schlaf , machen wir uns nach einem Kaffee aus dem Automaten auf den Weg. Bis zum heutigen Ziel Los Arcos sind es 36 km. Es ist Samstag, da öffnen die Bars später, aber wir haben ja vorgesorgt und uns mit Proviant eingedeckt. Wir verlassen Cirauqui durch einen Torbogen, der vom Hauptplatz über eine alte Römerstraße zu einer eindrucksvollen, halb verfallenen römischen Brücke führt. Der Camino folgt dieser Römerstraße, die parallel zur N-111 verläuft, über Lorca und Villatuerta bis Estella.

Da wir uns immer noch in Navarra und somit im Baskenland befinden, finden wir auf dem Ortsschild auch den baskischen Namen Lizarra. Estella war eine wichtige Stadt auf dem Pilgerweg nach Santiago. Voller Monumente im romanischen Stil wurde die Stadt von den Pilgern Estella la Bella "Estella die Schöne" genannt. Das bedeutendste Monument ist die Kirche San Pedro de la Rua aus dem 12. Jh. Sehenswert sind das Portal am Ende der langen Treppe sowie der Kreuzgang mit schönen romanischen Kapitellen.

Auch in Estella finden wir noch keine offene Bar. Erst in Ayegui, einem kleinen Ort hinter Estella, hat im Sportzentrum (polideportivo) neben der Pilgerherberge die Bar geöffnet. Inzwischen sind wir schon 16 km unterwegs. Beim ausgiebigen Frühstück, einem riesigen bocadillo mit 2 Tassen café con leche, schauen wir der örtlichen Jugend beim Basketball-Training zu. Es tut richtig gut, auch mal andere schwitzen zu sehen.

Kurz vor dem Ortsende gibt es zwei Wegalternativen: Wir können entweder geradeaus direkt in Richtung Azqueta gehen oder nach links einen kleinen Umweg über Irache machen. Diesen Umweg sollen wir aber auf keinen Fall versäumen, was mir Helmut Henrix zu Hause auch schon geraten hat. Denn nach ein paar hundert Metern kommen wir zur Weinkellerei "Bodegas Irache", die für die Pilger den berühmten Weinbrunnen angelegt hat, aus dem man kostenlos Wein und Wasser zapfen darf. Eine Webcam überträgt das Schauspiel. Nicht wenige rufen per Handy zu Hause an, veranlassen ihre Lieben den PC einzuschalten und prosten ihnen per Internet zu. Der Brunnen ist gut besucht. Eine Gruppe italienischer Radpilger verweilt offensichtlich schon etwas länger hier, was ihre ausgelassene Stimmung verrät. Die werden heute mit Sicherheit nicht mehr weit fahren. Ich fülle mir eine Flasche mit Wein, die andere mit frischem Wasser.
Hundert Meter hinter der Weinkellerei liegt auf der linken Seite am Fuße des 1.044 m hohen Montejurra das Kloster Irache, eines der ältesten Klöster Navarras, mit romanisch-gotischer Kirche und Renaissance-Kreuzgang. Am Kloster vorbei durch Weinberge laufen wir stetig bergauf eine weitere Stunde bis zum Dorf Villamayor de Monjardin in 700 m Höhe. Da es zwischen Villamayor und Los Arcos auf 12 km keinen Ort und keine Wasserstelle mehr gibt, fülle ich am Dorfbrunnen die Flasche auf. Durch Wein , Weizenfeldern und Obstplantagen führt der Weg fast schnurgerade nach Los Arcos. Das Wetter ist besser als angekündigt; es ist trocken und es weht ein starker Wind. Einen Kompass hätten wir bisher nicht gebraucht, der stets aus Westen kommende Gegenwind zeigt uns den Weg nach Santiago.

In Los Arcos stehen zwei Pilgerherbergen zur Wahl. Zuerst kommen wir zur Casa Austria,die von der österreichischen Jakobusbruderschaft betrieben wird. Die widersprüchlichen Aussagen der Paderborner und letztlich der Satz: War früher mal gut, aber die Sanitäranlagen sind in einem sehr schlechten Zustand, lässt uns weiter gehen. Über die Plaza Santa Maria gehen wir durch ein Stadttor, dann über den Fluss Odrón und erreichen 50 m hinter der Brücke die städtische Herberge "Isaak Santiago" mit 72 Plätzen, verteilt auf mehrere Räume. Die Anzahl Wanderschuhe vor der Haustür zeigt, dass noch reichlich Platz vorhanden ist. Die Zimmer sind sauber, es gibt Internetzugang, eine gut ausgestattete Küche und nach Geschlechtern getrennte Sanitärräume, was nicht selbstverständlich ist. Wer will, kann sich hier auch seine verkrampften Muskeln massieren lassen. Wir bekommen ein 4-Bett-Zimmer zugeteilt, duschen erst mal und erledigen die tägliche kleine Wäsche. Im Duschraum zeigt mir ein Engländer seine Fußblasen. Sieht echt schlimm aus. Ich rate ihm, sie zu öffnen und mit Compeed-Blasenpflastern abzudecken. Zurück im Zimmer, sehe ich, dass die anderen beiden Betten zwei jungen Frauen zugeteilt wurden. Es sind Sue und Lynn. Sie kommen von der Isle of Man und sind nach eigenen Angaben leidenschaftliche Bikerinnen. Die eine von ihnen hat sich gerade von ihrem Freund getrennt, weil er ihre Suzuki als Ersatzteillager für seine Maschine missbraucht hat. Die zweite hat sich soeben ihren Rucksack unbrauchbar gemacht, indem sie mit Gewalt einen Gurtclip in ein falsches, zu kleines Gegenstück gedrückt hat und nicht mehr heraus bekommt. Da kommt bei Walter der Techniker durch. Mit Hilfe zweier Taschenmesser, Geschick und viel Geduld gelingt es ihm den Clip zu lösen.

Der Hunger treibt uns wieder in die Stadt. Es ist Samstag-Nachmittag, die Plazas bevölkert und es gibt reichlich Bars und Cafés wo man für wenig Geld Tapas und Kleinigkeiten zu Essen bekommt. Auf dem Hauptplatz vor der Kirche treffen wir drei Bekannte, Theo aus Köln und die beiden aus Pamplona, Heinz den Hehner mit seinem österreichischen Mitpilger. Sie sind in der Casa Austria untergekommen, die viel besser zu sein scheint, als ihr Ruf. Wir verabreden uns zum gemeinsamen Abendessen. Nach dem Essen beginnt um 20.00 Uhr in der Kirche Santa Maria gerade der Abendgottesdienst, an dem Theo, Walter und ich teilnehmen. Am Ende der Messe gibt es den Pilgersegen. Der junge Priester fragt aus welchen Ländern wir kommen und wünscht jedem in seiner Sprache göttlichen Beistand auf dem Pilgerweg. Als wir zur Herberge zurück kommen, liegen Sue und Lynn schon in ihren Betten und auch wir machen, dass wir in die unseren kommen. Nur noch die Stöpsel in die Ohren (seit der Nacht mit Caroline im Orisson weiss ich, wie heftig Frauen schnarchen können), das Licht aus und Ruhe ist.

Weinbrunnen Irache Durch die Weinberge nach
Villamayor de Monjardin
Camino vor Los Arcos Kirche Santa Maria in Los Arcos

20. April 2008
Los Arcos - Logroño

Die Nacht mit Sue und Lynn verlief erwartungsgemäß ruhig, wir bekamen ein Lob dafür, dass wir nicht geschnarcht haben, was wir pflichtschuldigst zurück gaben. In der Herberge gibt es kein Frühstück und es ist Sonntag, da öffnen die Bars noch später. Zwei Müsli-Riegel und ein Becher Milchkaffee aus dem Automaten reichen fürs erste. Hinter dem Ortsende von Los Arcos führt der Pilgerweg geradeaus über einen Feldweg parallel zur N-111 über Sansol nach Torres del Rio. Es folgen 11 km entweder auf oder neben der N-111 aber teilweise auch auf schönen Feldwegen durch die hügelige Landschaft zwischen blühenden Ginsterbüschen, wilden Tamarisken und Weizenfeldern bis Viana. Auf halber Strecke überholen wir das Ehepaar aus Köln, welches ich bereits auf der Busfahrt nach Koblenz kennenlernte. Sie sind ja, wie ich bereits erwähnte, in Pamplona gestartet und haben sich offenbar Zeit gelassen. In Viana holen wir das längst fällige Frühstück nach.

Schmuckstück des Ortes ist die Kirche Santa Maria. Vor dem Renaissanceportal befindet sich das Grab des spanisch-italienischen Feldherrn Cesare Borgia, der hier im Jahre 1507 im Alter von 32 Jahren in einer Schlacht fiel. Er war ein Sohn des Papstes Alexander VI. und der Inbegriff eines skrupellosen Renaissancefürsten. Das erkannte man auch schon damals und bestattete ihn nicht in der Kirche, sondern vor dem Portal.

Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel geht es weiter erst neben der N-111 , dann auf eine Piste bis zum Stausee Embalse de las Cañas, der in einem Naturschutzgebiet liegt. Wenig später kommen wir zur Provinzgrenze von Navarra und La Rioja. Hier gelangen wir auf eine breite Tartanpiste, die zuerst durch mehrere Tunnel die große Landstraßenkreuzung unterquert und dann nach 2,5 km die Vororte von Logroño erreicht. Auf schmaler Straße geht es steil bergab bis zum in jedem zweiten Kreuzworträtsel gefragten spanischen Fluss, dem Ebro. Gleich hinter der Brücke "Puente de Piedra" treffen wir wieder Theo aus Köln, Heinz aus Hehn und den Österreicher. Sie wollen noch weiter bis Navarrete, was weitere 13 km oder fast drei Stunden bedeutet. Ein kleines Stück hinter der Brücke, gegenüber von Santa Maria de Palacio befindet sich die Pilgerherberge mit 88 Betten und bei Bedarf weiteren 30 Matratzen. Es gibt eine Waschmaschine und Trockner, eine gut ausgestattete Küche, Aufenthaltsraum und einen schönen Innenhof. Wir nutzen die Gelegenheit und werfen nach dem Duschen und der Handwäsche unsere Wäsche samt Hemden und Hosen in den Trockner. In der Herberge kostet alles 3,00 €, Waschmaschine, Trockner, Übernachtung und sogar der Wein, 3 Sterne Herberge gleich 3 € meint der Hospitalero. Während der Trockner läuft, machen wir es uns im Innenhof in der Sonne bequem. Hier treffen wir eine junge Frau aus Wickrath, die aber zur Zeit in München lebt.

Neben Schwalmtal, Neuwerk, Neersen, Hehn jetzt auch Wickrath, der Niederrhein ist wirklich stark vertreten auf dem Camino. Etwas später trifft auch das Kölner Ehepaar ein. Da es in der Herberge einen Internetanschluss gibt, arbeite ich mich erst mal durch meinen Postkorb und maile Leo, Werner und meinem Sohn Daniel einen Zwischenbericht. Vor dem Abendessen bleibt noch reichlich Zeit, die Innenstadt zu besichtigen.

Logroño ist die Hauptstadt der spanischen Region La Rioja, aber sowohl historisch als auch kunsthistorisch recht unbedeutend. Die Rioja ist das wichtigste Weinbaugebiet Spaniens. Heute sagt man, der Wein sei die einzige Charakteristik und Daseinsberechtigung dieser Region. Im Mittelalter erlebte sie jedoch durch die Pilgerfahrten nach Santiago eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Nach der Rückeroberung von den Mauren im 10. Jh. gehörte La Rioja erst zu Navarra und fiel erst im Jahr 1076 an Kastilien. Zwischen beiden Reichen liegend, hat La Rioja immer einen eigenen Charakter bewahrt.

Nach einem reichlichen Pilgermenue, mit der richtigen Bettschwere durch den Rotwein und die zurückgelegten 29 Tageskilometer begeben wir uns zu unserem 36-Betten Schlafsaal, der komplett belegt ist. Trotzdem ist nach Ausschalten des Lichts um 22.00 Uhr alles ruhig.

Camino zwischen Torres de Rio und Viana Camino zwischen Torres de Rio und Viana
Logroño, Brücke über den Ebro Kirche Santa María in Logroño

21. April 2008
Logroño - Azofra

Dank meiner Ohrstöpsel habe ich bis 6.00 Uhr durchgeschlafen. Auf dem Weg zum Waschraum treffe ich die junge Frau aus Wickrath, die im Bett hinter mir schlief. Sie hatte in der Nacht den Raum gewechselt. Ihr "Obermann", ein Spanier, hatte permanent so stark geschnarcht, dass sie keinen Schlaf fand. Da sie am Abend bemerkt hatte, dass der zweite große Schlafraum bis auf ein paar Schläfer frei war, packte sie in der Nacht kurzerhand ihren Schlafsack und zog um.

Es gibt kein Frühstück und keinen Kaffeeautomaten in der Herberge. Deshalb laufen wir entgegen dem Camino zurück in die Stadt. Es ist Montag, die Bars sind wieder früh geöffnet. und wir genehmigen uns ein ausgiebiges Frühstück. Da wir eh schon in die falsche Richtung gelaufen sind, und der Busbahnhof gleich nebenan ist, beschließen wir bis Navarrete mit dem Bus zu fahren. Eine gute Entscheidung. Erstens müssen wir nicht stadtauswärts entlang der Hauptstraße laufen und schenken uns den den Zick-Zack Kurs durch das angrenzende Industriegebiet. Zum Anderen schmerzt mein linker kleiner Zeh. Ich habe mir gestern eine Blutblase gelaufen, die ich geöffnet und mit Blasenpflaster abgedeckt habe. In Navarrete angekommen, verlassen wir den Ort wieder in Richtung N-120. Der Pilgerweg verläuft die nächsten 6 km in unmittelbarer Nähe der Nationalstraße. Ca. 2 km vor Ventosa führt uns ein Feldweg fort von der N-120 in den Ort. Die 13 km lange Strecke Ventosa- Nájera verläuft zum großen Teil neben der N-120 aber auch auf Feldwegen durch das Weinbaugebiet des Rioja. Wir überqueren der Rio Najerilla und gelangen den gelben Pfeilen folgend durch die verwinkelte Altstadt von Nájera zum Kloster Santa Maria la Real und der modernen Pilgerherberge. Durch unsere Busfahrt am Morgen sind wir noch gut in der Zeit und gehen deshalb weiter Richtung Azofra. Der Weg führt uns von der Altstadt um einen Bergrücken aus rotem Sandstein, in dessen steiler Wand in den ausgewaschenen Höhlen unzählige Vögel nisten. Es geht zunächst steil bergauf durch einen Nadelwald und dann auf der anderen Seite wieder auf breitem Weg durch die Weinfelder. Interessant ist das alte Bewässerungssystem für die Weinfelder. In breiten Steintrögen, die ähnlich wie römische Wasserleitungen auf Stelzen stehen, läuft des Wasser kilometerweit entlang der Straße und durch die Felder. Bei Straßenquerungen verschwindet das Wasser in einer senkrechten Röhre, um auf der anderen Straßenseite in einer weiteren senkrechten Röhre nach dem System kommunizierender Flüssigkeiten wieder aufzusteigen und im anschließenden Steintrog weiterzufließen. Die letzten 2 km gehen wir über eine Landstraße, die uns ins Zentrum von Azofra bringt. Hier treffen wir, wie könnte es anders sein, Theo, Heinz und den Österreicher. Sie sind in Navarrete gestartet aber ihnen reichen die 24 km noch nicht und laufen deshalb weiter. Wir checken in der neuen Gemeindeherberge ein. Hier gibt es 30 Doppelzimmer mit Fußbodenheizung, Küche mit Mircowelle und Kühlschrank, Waschmaschine und Trockner, einen großen Aufenthaltsraum und Internet. Die Übernachtung kostet 6,- €, das 2-Bett-Zimmer hat ein großes, bis zum Boden reichendes Fenster, ausreichend Stauraum für unsere Rucksäcke und eine Flügeltür zum Flur. Ich denke, wir werden hier eine gute Nacht verbringen, trotz der Zimmernummer 13. Azofra ist ein größeres Dorf, in dem es außer der verschlossenen Kirche, mit dem obligatorischen Storchennest auf dem Turm, nicht viel zu sehen gibt. Aber es gibt mehrere Bars, die Pilgermenues anbieten. Alle 3 Gänge mit mehreren Auswahlmöglichkeiten. Ich nehme Paella als Vorspeise, Calamares a la romana als Hauptgang und Flan zum Dessert. Dazu gibt es eine halbe Flasche Tischwein. Das Ganze kostet 8,- €. Mehr als 10,- € wurde für das Pilgermenue auf der ganzen Strecke nirgends verlangt.

Da die Herberge über einen großen Aufenthaltsraum verfügt und es beim Hospitalero guten Rioja zu kaufen gibt, trinken wir hier unseren Absacker. Die Runde ist wie immer international. Hier lerne ich Bart, einen 53 jährigen Holländer aus Utrecht, kennen. Wir werden uns bis zu Kap Finisterre immer wieder treffen. Walter unterhält sich angeregt mit Helmut aus Wien, der im österreichischen Landwirtschaftsministerium arbeitet. Unterwegs hatten wir einen jüngeren Einzelpilger mit südländischem Aussehen überholt. Wir hatten auf Brasilien getippt. Nun hören wir ihn in bestem Deutsch reden und sprechen ihn auf seine Herkunft an. Es ist Yilmaz, ein junger Türke aus Essen, der in München studiert hat. Kaum vorstellbar, ein praktizierender Muslim auf dem Jakobsweg. Ich frage ihn, wie das zusammenpasst, wo doch allenthalben der heilige Jakobus als Maurentöter dargestellt wird und deshalb der Schutzpatron Spaniens ist. Yilmaz meint er habe sich mit der Geschichte und der Legende auseinandergesetzt, er könne es auch als Muslim vertreten. Außerdem sei für ihn der Weg, welcher wie kaum ein anderer der Völkerverständigung dient, ein unbedingtes Muss. Er werde aber mit Sicherheit auch einmal nach Mekka pilgern.

Nach mehreren Rotwein und interessanten Gesprächen fühle ich eine wohltuende Müdigkeit.
Das Bett ist angenehm hart, die Luft frisch und so schlafe ich auch ohne Ohrstöpsel bis 6.45 Uhr durch.

Camino vor Ventosa Nájera
Azofra Landschaft bei Azofra

22. April 2008
Azofra - Villamayor del Rio

Gepackt ist schnell. Das Frühstück nehmen wir in der gleichen Bar, wo wir gestern Abend gegessen haben. Zusätzlich lassen wir uns noch ein paar Spiegeleier mit Schinken braten, denn der nächste Ort ist 9 km entfernt. So gestärkt beginnen wir unser heutiges Programm. In stetem Auf und Ab führt der Camino durch bis zum Horizont reichende Getreidefelder. Eine bis auf einige Ginsterbüsche baumlose Landschaft. Die Vorstellung hier in sommerlicher Hitze laufen zu müssen lässt mich schon jetzt durstig werden. Auch der Gedanke hier von einem Gewitter überrascht zu werden, ist schon beängstigend. Aber nun am frühen Morgen ist der Himmel blau und die Luft angenehm kühl. über Ciureña erreichen wir nach 3 Stunden und 16 km Santo Domingo de la Calzada.

Hier ließ sich 1044 der heilige Domingo de Viloria nieder und errichtete eine Brücke über den Fluss Oja sowie ein Pilgerhospital und eine Herberge. Heute befindet sich in dieser Pilgerherberge, wie in den ehemaligen Pilgerherbergen von Leòn und Santiago, ein staatliches Parador Luxushotel. Im Jahre 1089 wurde mit dem Bau der Kathedrale begonnen, deren größter Teil gotisch ist. Sehenswert ist insbesondere das Grab des Heiligen, über dem sich ein gotisches Tempelchen erhebt. Gegenüber befindet sich ein Käfig, in dem auf nachfolgende Legende ein Hahn und eine Henne gehalten werden.

Diese Legende machte Santo Domingo de la Calzade berühmt: Ein Ehepaar war mit seinem Sohn auf der Pilgerfahrt nach Santiago und übernachtete in einem Wirtshaus in Santo Domingo. Die Wirtstochter verliebte sich in den Sohn, der aber nichts von ihr wissen wollte und am nächsten Morgen mit seinen Eltern weiterzog. Das beleidigte Mädchen hatte aber einen Silberbecher in das Gepäck des Jungen gesteckt und zeigte ihn des Diebstahls an. Der Becher wurde entdeckt und der Junge zum Tod durch Erhängen verurteilt. Als die Eltern nach der Vollstreckung der Todesstrafe noch einmal zu dem Baum gingen, an dem ihr Sohn hing, stellten sie erstaunt fest, dass ihr Sohn lebend am Galgen hing, denn Santo Domingo stützte ihn an den Beinen. Das Ehepaar begab sich also zum Richter, um ihm von dem Wunder zu berichten, das ja die Unschuld ihres Sohnes bewies. Der Richter saß gerade am Mittagstisch und sagte, dass der Junge so lebendig sei, wie die beiden Hühnchen die er gerade verspeisen wollte. Daraufhin flogen die beiden Tiere davon.

Seitdem werden in der Kathedrale von Santo Domingo in einem Käfig ein weißer Hahn und eine weiße Henne gehalten, die wöchentlich ausgewechselt werden. Dies ist die bekannteste Legende des Jakobsweges, und in vielen Ländern findet man in Kirchen Darstellungen dazu.

Wir suchen die Hühner leider vergeblich, denn die Kathedrale wird zur Zeit renoviert und der Käfig ist leer. Hinter der Brücke über den Rio Oja, dem die Region ihren Namen verdankt, hat man die Möglichkeit, unmittelbar entlang der N-120 zu laufen oder den etwas längeren Weg durch die Felder. Wir nehmen die Zweite und kommen nach 7 km nach Grañón. Es ist 13.00 Uhr und der Magen knurrt schon länger. In einer Bar gibt es das übliche bocadillo, café con leche und für den größten Durst eine Flasche Mineralwasser und weiter geht's. Zwei Kilometer vor Redecilla del Camino verlassen wir die Rioja und betreten Kastilien. In Castildelgado suchen wir ohne Erfolg die private Herberge des Kölners Roland Kolle, sie gibts nicht mehr. Also weiter nach Viloria de Rioja.

Leider ist die kleine Herberge der Brasilianer Acacio & Orietta mit ihren 12 Plätzen bereits belegt. Das heißt, weitere anstrengende 4 km auf der Piste links neben der N-120 nach Villamajor del Rio wo wir um 15:30 in einer Privatherberge ankommen. In unserem 3-Bettzimmer treffen wir Helmut aus Wien. Ihn hat die freundliche brasilianische Hospitalera aus Viloria mit dem Wagen hergebracht, da er deutliche Erschöpfungsanzeichen zeigte. Wir sind nach 34 km froh, ein freies Bett gefunden zu haben. Erst mal heiß geduscht, die durchgeschwitzte Wäsche und die Socken gewaschen, ein Bier getrunken, schon sieht die Welt wieder besser aus. Bart der Holländer aus Utrecht und Prisca eine Schweizerin aus dem Berner Oberland, die mit ihm unterwegs ist, trudeln auch ein. Ein Ehepaar aus unserer Region, welches voriges Jahr auch um diese Zeit den Camino gelaufen ist, erzählt, dass morgen der Weg wieder auf über 1150 m Höhe geht und im letzten Jahr um diese Zeit der Pass über das Oca-Gebirge verschneit war. Ich denke an die Worte des Dr. rer.nat. aus Espinal nach der Überquerung der Pyrenäen: "Im Prinzip geht es eigentlich nur noch bergab". Aus der Küche riecht es gut, ich bin gespannt, was die Hospitalera für so viele zurecht bruzzelt. Die Herberge liegt weitab vom Ort, deshalb gibt es hier Halbpension, Übernachtung 7,- € Abendessen 7,- € Frühstück 2,- €.

Wenn wir morgen wie geplant bis Agés kommen sollten, bin ich meinem Plan schon fast einen Tag voraus, das nimmt den Druck etwas weg. Unsere Müdigkeit und die Tatsache, nur zu dritt auf dem Zimmer zu liegen, verheißen eine ruhige Nacht

Camino zwischen Azofra und
Santo Domingo de la Calzada
Camino zwischen Azofra und
Santo Domingo de la Calzada
Santo Domingo de la Calzada, Kathedrale Hühnerkäfig in der Kathedrale
von Santo Domingo de la Calzada

23. April 2008
Villamayor del Rio - Agés

Um 7.45 Uhr nach wirklich ruhiger Nacht und dem üblichen Pilgerfrühstück in der Herberge gestartet. Das Wetter ist trocken, der Himmel bedeckt. Wieder geht es entlang der lauten N-120 vier km bis Belorado. Hinter dem Ort wird der Fluss Thròn überquert, danach folgen weitere 4 km auf einem Pfad neben der N-120 bis in das Dorf Tosantos. Mir ist aufgefallen, dass es in den Dörfern auf unserem bisherigen Weg keine Kinder gibt, sondern fast ausschließlich alte Leute. Deshalb sind in einigen Dörfern wohl auch die Dorfschulen zu Herbergen umfunktioniert worden. Die jungen Leute sind offensichtlich dem Arbeitsplatz folgend in die Städte gezogen.

Immer leicht ansteigend geht es nun auf einer Piste durch das halbverlassene Dorf Villambistia nach Espinosa del Camino. Hier stärken wir uns in einer Bar mit Spiegelei und Speck für den Aufstieg ins Oca-Gebirge. Beim Verlassen der Bar taucht Helmut aus Wien auf, und schließt sich uns an. Zunächst geht es wieder an die N-120 , die uns nach Villafranca Montes de Oca bringt. Ab hier führt der Pilgerweg fort von der Landstraße, durch Eichenwälder stetig bergauf, über 4,5 km zur Passhöhe Puerto de la Pedraja (1.150 m) . Hier oben erweitert sich der Weg zu einer kilometerlangen, ca. 20 m breiten Brandschneise, die allerdings von Traktor-Spuren zerpflügt ist. Die Spuren stehen voll Regenwasser und erschweren das Vorankommen. Nach dieser Marterstrecke gehen wir auf einem sehr schönen Wald- und Feldweg 5 km abwärts nach San Juan de Ortega.

In der Klosterkirche von San Juan wiederholt sich zweimal im Jahr zur Tagundnachtgleiche am 21. März und am 22. September das "Wunder des Lichts", was eine architektonische Meisterleistung des Mittelalters ist. Um 17.00 Uhr beleuchtet ein Lichtstrahl die Verkündigungsszene auf dem Kapitell links neben der Apsis, Danach wandert der Lichtstrahl über die Geburt Christi zum Besuch der Heiligen Drei Könige, um nach 10 Minuten wieder für ein halbes Jahr zu verschwinden.

Hinter dem langgestreckten Klosterbau kommen wir zu einer Straßengabelung. Halblinks geht es zu den Höhlen von Atapuerca, einem Fundort prähistorischer Schädel wie das Neandertal. Wir nehmen den Weg geradeaus, einen schönen Waldweg, der bald zum Feldweg wird und uns 4 km über die Hochebene nach Agés führt. Hier gibt es zwei Herbergen, nur durch wenige Häuser getrennt, die Gemeinde-Herberge und die private Herberge "El Pajar de Agés" welche von den Jakobusfreunden Paderborn wie folgt beschrieben wird: Freundliches Haus mit angenehmer Atmosphäre, Luxus-Duschen, frischer Kissenbezug liegt auf dem Kissen bereit, Internet, abends Paella. Bei soviel positiven Aussagen fällt die Wahl nicht schwer. Stimmt auch alles wie beschrieben. Nur als wir die Luxus-Duschen benutzen wollen, ist der Durchlauferhitzer defekt. Ich bin kein notorischer Warmduscher und härte mich unter kaltem Strahl ab. Wir drei, Walter, Helmut und ich drehen eine Runde durch den Ort, besichtigen die Kirche, die wie fast alle Kirchen in den kleinen Orten tagsüber verschlossen ist, und bestaunen das riesige Storchennest auf dem Kirchturm. An der Straßenecke zu unserer Herberge steht ein Schild: Santiago 518 km. Nur Mut, fast 300 km haben wir schon zurückgelegt.

Zwei Häuser neben der Herberge hat der Kölner Roland Kolle, dessen Herberge wir in Castildelgado vergeblich suchten, einen kleinen Laden mit Kneipe eröffnet, nennt sich "El Alquimista". Er führt so alles, was ein Pilger braucht. Besonders gefällt uns die gemütliche Sitzecke, wo er einen sehr guten Rotwein und Tapas serviert. Ein Schild warnt eindringlich vor einem Bluthund, der sich jedoch als ein süßes Hundebaby entpuppt, das von allen gestreichelt werden will. Roland Kolle, ein Endfünfziger, gibt sich nicht gleich zu erkennen, aber uns bleibt nichts verborgen. So erzählt er uns von den Schwierigkeiten mit den kommunalen Behörden, die ihn zur Aufgabe der Herberge zwangen. Wir trinken vor dem Essen schon mal 3 Rote.

Inzwischen ist die Herberge proppenvoll. Ebenso der Speiseraum. Aber wie heißt es so schön: Platz ist in der kleinsten Hütte....Es gibt, wie im Reiseführer beschrieben, das Hausgericht Paella. Dazu einen sehr pikanten Chicorée-Orangen- Salat (das Rezept muss ich mir merken) , Tischwein und Joghurt. Es ist reichlich vorhanden, wer will, bekommt Nachschlag. Alle zieht es sehr früh zu den Betten. Wir sind in einem Raum mit 4 Doppelstock-Betten. Mir gegenüber schläft Katja, ein junges Mädchen aus Wilhelmshaven. Sie ist heute 40 km gelaufen und hofft auf eine ruhige Nacht. Allein mit sieben u.U. stark schnarchenden Männern, hoffe weiter Katja die Hoffnung stirbt zuletzt !

Herbergskirche in Belorado Villafranca Montes de Oca
Camino auf der Hochebene vor Agés Agés

24. April 2008
Agés - Rabé de las Calzadas

Es war wohl tatsächlich nicht so still in der Nacht, denn Katja reagiert auf die Frage, ob sie gut geschlafen habe, leicht gereizt. Ich habe dank Fensterplatz und Ohrstöpsel die Nacht genossen und volle 9 Stunden durchgeschlafen. Das Frühstück in der Herberge ist o.k., gegen 8.00 Uhr starten Walter und ich in Richtung Burgos, Helmut und Katja sind schon vor uns aufgebrochen. Auf der kleinen Landstraße geht es 3 km bis Atapuerca. Hinter dem Ort führt der Pilgerweg links über eine Wiese auf einen Feldweg, der immer steiniger und steiler wird, bis er nach 2 km auf ein großes Holzkreuz auf einem Steinhügel trifft. Von der Kammhöhe bietet sich uns ein grandioser Ausblick über den Großaum Burgos, mit seinem hässlichen Industriegürtel, den wir mit dem Bus durchfahren wollen. Wir laufen weiter bis zum Dorf Orbaneja de Riopico. Hier könnten wir links in Richtung Castañares gehen, wo der Camino wieder mit der Nebenroute zusammentrifft. Wir gehen jedoch rechts, umlaufen in großem Bogen ein eingezäuntes Sperrgebiet (Militär oder neuer Flughafen), überqueren eine Bahnstrecke und gelangen nach Villafria dem ersten Vorort von Burgos an der N-1. Wir gehen die Calle de Victoria stadteinwärts und kommen bald zu einer Bushaltestelle von der aus wir bis ins Zentrum von Burgos fahren.
Zu Fuß geht es dann über den Paseo de Espolón, eine wunderschöne Platanenallee, zur Kathedrale, wo wir unsere Rucksäcke an der Museumskasse einschließen. Gänzlich unbelastet besichtigen wir Kathedrale und Museum. Die Kathedrale ist wirklich beeindruckend. Vom 13. bis zu 15. Jh. waren hier die bedeutendsten Baumeister und Bildhauer tätig. Das Kircheninnere ist voller Kunstwerke, die aber zum Teil erst nach Einwurf von Geld sichtbar gemacht werden. Wir lassen uns Zeit und besichtigen den Chor-Umgang mit den vielen kleinen Altären, die zahlreichen Kapellen mit Grabmälern in den Seitenschiffen und den wunderschönen Kreuzgang. Nach dem Besuch des Museums mit seiner sehenswerten Ausstellung sakraler Gegenstände nehmen wir auf der Plaza Mayor einen Imbiss und genießen den Sonnenschein und die brodelnde Menschenmenge. Die zahlreichen Sehenswürdigkeiten sind es wert, in Burgos wenigstens einen vollen Tag einzuplanen. Sollte ich noch mal hierher kommen, werde ich das sicherlich berücksichtigen. Wir holen unser Gepäck aus dem Depot und überqueren den Rio Arlanzón über die Brücke Puente de San Pablo, mit den modernen Skulpturen vor dem Hintergrund der monumentalen Porta de Santa Maria. Vom Busbahnhof bringt uns ein Bus durch die Vororte nach Villalbilla de Burgos. Hinter dem Ort geht es auf einem Kiesweg unter der Autobahnbrücke hindurch, dann über den Fluss Arlanzón und schließlich noch 2 km auf einem Pfad neben der Straße bis Tardajos, wo sich laut Reiseführer auf der Plaza Mayor der einzige Lebensmittelladen zwischen Burgos und Castrojeriz befindet. Wir reden hier immerhin über eine Strecke von ca. 26 km.! Da um diese Tageszeit die Geschäfte sowieso geschlossen sind, laufen wir über eine schmale Landstraße weiter bis Rabé de las Calzadas.
Hier gibt es zwei Herbergen, eine kleine Private mit 8 Betten in einem liebevoll restaurierten Haus mit sauberen Dusch- und Waschmöglichkeiten. Aber die Hospitalera ist laut den Paderbornern bis zur Unfreundlichkeit streng. Die zweite Herberge ist 50 m hinter dem Ortsende. Wir schauen uns erst mal die zweite Herberge an, können ihr aber nichts positives abgewinnen und gehen zurück zum Haus der unfreundlichen Wirtin. Eine ernste Frau Anfang Fünfzig empfängt uns. Wir sind die ersten Gäste. Sie vermietet grundsätzlich nur mit Essen. Der Halbpensionspreis beträgt 25,- €, für eine Herberge nicht gerade billig, aber das Essen soll laut Urteil früherer Pilger toll sein. Als wir unsere Pilgerausweise vorlegen, missfällt ihr die Entfernung zu unserem Startort und die noch frühe Tageszeit. Walter erklärt ihr, dass wir das Industriegebiet um Burgos mit dem Bus durchfahren haben.Darauf reagiert sie unwirsch und erklärt uns, dieses sei ein Pilgerweg und der müsse zu Fuß gelaufen werden. Dann greift sie zu einem großen Stempel und bearbeitet unsere Credenciale. Ich denke schon, jetzt stempelt sie sie ungültig, aber es ist der normale Stempel des Hauses, den sie handschriftlich mit "buen camino Hans" ergänzt. Michelle, so heißt unsere Hospitalera, ist eine Sauberkeitsfanatikerin und hat eine panische Angst vor Ungeziefer. Deshalb müssen ihre Gäste die Rucksäcke in graue Müllsäcke stecken und ans Bett hängen und in keinem Fall auf den Boden stellen. Sie ist der Meinung bei so vielen Gästen aus den unterschiedlichsten Ländern und den kurzen Reisezeiten per Flugzeug könne leicht etwas eingeschleppt werden und dagegen müsse sie sich schützen. Wir denken uns unseren Teil und folgen ihrem Wunsch. Etwas später kommt noch eine Pilgerin, Heidi aus Melk an der Donau. Sie ist zu fertig, um sich von Michelle's Art schocken zu lassen. Drei weitere Pilger aus Österreich, welche nur übernachten wollen und die Verpflegung ablehnen, werden abgewiesen, deshalb bleiben wir drei die einzigen Gäste im 8-Betten-Zimmer.

Heute war der erste richtig sonnige Tag, so sitzen wir vor der Herberge und plaudern. Michelle ist Französin, mit einem Spanier verheiratet. Ihr Mann arbeitet die Woche über in Santander. Walter, der ja fließend französisch spricht, kann jetzt richtig punkten und Michelle taut zunehmend auf. Wir erfahren, dass Theo, der Kölner, gestern hier übernachtet hat. Er hat sich von Heinz aus Hehn und seinem österreichischen Mitpilger getrennt. Das Abendessen wird in der gemütlichen Wohnküche serviert. Es gibt einen phantastischen Linseneintopf mit reichlicher Einlage, Brot und Wein und als Dessert Pflaumenmus, Joghurt und Nüsse. übrigens bin ich meinem Zeitplan einen Tag voraus.

Zwei Pilger vor der Kathedrale von Burgos Kathedrale von Burgos
Burgos, Porta de Santa Maria Rabé de las Calzadas

25. April 2008
Rabé de las Calzadas - Castrojeriz

Wieder habe ich bis 7.00 Uhr durchgeschlafen. Heidi bestätigt, dass weder Walter noch ich schnarchen. Nach dem Frühstück und einem Gruppenfoto werden wir von Michelle typisch französisch mit Küsschen rechts und links verabschiedet. Nach einem kurzen Anstieg geht unser Weg über 7 km bis Hornillos del Camino fast geradeaus und stetig bergab und wir können mächtig Tempo machen. Heidi, die Probleme mit Ihrem Schienbein hat, kann den Schritt nicht halten und fällt zurück. Nach weiteren 11 km auf einer guten Piste kommen wir in das Dorf Hontanas. Jetzt, nach 19 km und mehr als 3,5 Stunden setzen wir den Rucksack ab und verzehren unseren mitgenommenen Proviant. Mittlerweile brennt die Sonne vom blauen Himmel, also die Weste aus und die Hosenbeine verkürzt. Vor der nahen Bar sitzen schon Bart und Prisca. Wir nehmen auch Platz , trinken einen großen café con leche und füllen unsere Wasserflaschen auf. Unsere Pause dauert jetzt vielleicht 40 Minuten. Noch während wir beim Kaffee sitzen, kommt Heidi angezockelt. In ihrem ruhigen, gleichmäßigen Tempo hat sie trotz ihrer Schmerzen am Schienbein bis zum Mittag die 19 km geschafft.
Eine halbe Stunde hinter Hontanas mündet der unbefestigte Weg in eine schmale Landstraße, deren Verlauf wir folgen. 2 km später gelangen wir zur Ruine des ehemaligen Klosters San Antón aus dem 12. Jh. Die Straße führt unter zwei Bögen mitten durch die Ruine der einstigen Vorhalle der Kirche. Auf der weiteren Strecke wird die Landschaft immer wüstenhafter. Wir sind jetzt in der berühmt, berüchtigten Meseta .Vor uns sehen wir den Ort Castrojeriz an einem Berg mit einer alten Burgruine liegen. Es gibt mehrere Herbergen, wir wählen die Kleinste, das Casa Nostra mit nur 10 Betten in einem traditionellen, rustikalen Gebäude. Auch das Mobiliar ist alt aber der Schlafraum ist groß und luftig. Walter ist das Ganze zu primitiv. Erste Differenzen kündigen sich an. Er liebt mehr den Komfort von Hotels oder Privatunterkünften während für mich auch das Schlafen in Refugien zum Pilgern gehört. Nach dem Duschen und der täglichen Wäsche nutze ich das Internet und schreibe meiner Familie und einigen Matthias-Brüdern. Im Ort gibt es nicht viel zu sehen und der Aufstieg zur Burgruine ist uns nach unserem Tagespensum von 30 km zu anstrengend. Also setzen wir uns in die Sonne und erledigen unsere täglichen Notizen. Vor dem Essen 2 Bier vom Fass, die haben wir uns redlich verdient, dann folgt ein sehr gutes Pilgermenue mit Rotwein. Von den 10 Betten der Herberge sind bei unserer Rückkehr 7 belegt. Um 22.00 Uhr ist allgemeine Nachtruhe.

Kirche in Rabé de la Calzadas Hontanas
Ruine Kloster San Antón Castrojeritz

26. April 2008
Castrojeriz - Población de Campos

Ich habe super geschlafen. Auf das Frühstück in der Herberge verzichten wir. Walter hatte gestern Abend mit der Wirtin der Bar verabredet, dass wir gegen 8 Uhr zum Frühstück kommen. Sehr zum Leidwesen des Wirtes, denn seine Frau hatte vergessen, dass heute Samstag ist, wo normalerweise erst später geöffnet wird. Aber sie hält ihr Wort und bereitet für uns und einen weiteren Mitschläfer ein gutes Frühstück mit Toast, Eiern und Schinken , Butter, Marmelade und dem üblichen café con leche. So gestärkt starten wir um 8:15 unsere heutige Etappe. Der Ort zieht sich endlos lang. Kurz hinter Castrojeriz, nach einer kleinen Brücke beginnt ein 2 km langer, steiler Aufstieg auf einen Tafelberg, der einige Radfahrer zum absteigen zwingt. Der Ausblick von der Höhe ist überwältigend, schier endlos windet sich der Pilgerweg durch das Tal. Nach 8 km erreichen wir einen schattigen Rastplatz bei der Quelle Fuente El Piojo und nach weiteren 2 km die Kirche San Nicolás an der mittelalterlichen Brücke über den Rio Pisuerga, hinter welcher die Provinz Palencia beginnt.

In der Kirche San Nicolás, die vor wenigen Jahren von der Jakobusbruderschaft von Perugia (Italien) restauriert wurde, befindet sich eine Pilgerherberge die, wie sonst nirgendwo auf dem Pilgerweg, die mittelalterliche Tradition der Pilgerfürsorge praktiziert. Vor dem Abendessen wird den Pilgern nach altem Brauch ein Fuß gewaschen.

Die Landschaft auf den nächsten 10 km bis Boadilla del Camino ist vollkommen flach und eintönig. Es ist die Tierra de Campos mit ihren endlosen Getreidefeldern durch die der steinige Weg führt. Bis zum Horizont ist kein Dorf und kein Bauernhof zu sehen. Die Stille ist fast unwirklich. Bis auf den Gesang einzelner Lerchen und dem Tok Tok unserer Stöcke ist absolut nichts zu hören. Unterwegs überholen wir Heidi aus Melk. Dann werden wir von einem einzelnen Schnellläufer überholt. Ich nehme, wie häufig auf ebenen Strecken die keinen Stockeinsatz erfordern, meine Mundharmonika und spiele ein paar Fahrtenlieder, was unseren Schritt spürbar beschleunigt. Im Gleichschritt überholen wir nun den verdutzten Einzelgänger. Er hält mit und meint in einer Pause: "Ihr wart sicherlich beim Bund, so wie ihr marschiert". Es ist Klaus aus der Nähe von Karlsruhe, 36 Jahre alt und ein Fan vom TSG Hoffenheim. Ein Paar Kilometer laufen wir zusammen, dann gibt er wieder Gas. Nach 4 Stunden und 20 km machen wir in Boadilla de Camino Mittagspause. In einem kleinen Laden füllen wir unseren Proviant und das Wasser auf. Die meisten Häuser des Ortes sind mit Lehmziegeln gebaut, die sehr schnell verwittern. Diese Ziegel sind der traditionelle Baustoff der Gegend. Boadilla de Camino macht deshalb wie die meisten Orte in der Region einen heruntergekommenen Eindruck. Nach 1,4 km erreichen wir den Kanal von Kastilien, an dessen linkem Ufer wir die nächsten 3,5 km bis vor Frómista wandern.

Der Kanal war im 18. Jh. ein Meisterwerk der Baukunst. Bis zur Einweihung der Eisenbahnlinie Venta de Baños-Alar del Rey im Jahr 1860 war der Getreidetransport per Schiff der wichtigste wirtschaftliche Nutzen des Kanals. Durch die Konkurrenz geschwächt brach der Warenverkehr mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnlinie Valladolid - Medina de Rioseco komplett zusammen. Damit blieb nur die Energiegewinnung an den Schleusen (Antrieb der Getreidemühlen, später Stromgewinnung) und die Bewässerung weiter Teile der Tierra de Campos als wirtschaftliche Bedeutung. Heute spielt der Kanal, der die Region Kastilien-Leòn in Nord-Süd-Richtung durchfließt, eine immense Rolle als Naturraum.

Wir überqueren die Schleuse mit ihren vier abgestuften Kammern auf einem schmalen Steg und laufen noch einen Kilometer bis ins Zentrum von Fromista. Es ist Samstag Nachmittag, die Plätze und Straßencafés sind gut besucht. Wir beschließen, die nächste Herberge in 3 km Entfernung anzusteuern. Direkt hinter Fromista ist eine Großbaustelle, die wir eigentlich umlaufen müßten. Da der Baubetrieb wegen des Wochenendes ruht, laufen wir durch die Baustelle zwischen riesigen Kränen und Straßenbaumaschinen und kürzen einen guten Kilometer ab. Die Herberge von Población de Campos liegt ziemlich versteckt hinter einer Hecke am Ortseingang in der ehemaligen Dorfschule. Ein paar spanische Pilgerinnen sitzen schon wartend vor dem Eingang. Ich schaue in den Reiseführer um die Öffnungszeit zu prüfen und bekomme einen Schreck. Laut Führer ist die Herberge nur von Mai bis September geöffnet und die nächste Herberge ist 10 km weiter. Eher laufen wir zurück nach Frómista, denn nach 30 km sind wir ziemlich geschafft. Da erscheinen zwei Männer mit Schlüssel und sagen wir sollen uns schon mal einrichten, gegen Abend komme jemand zum kassieren und stempeln. Die Herberge mit 16 Betten ist gut ausgestattet mit Küche, Aufenthaltsraum und neuem Sanitär. Erst wird wieder geduscht und die kleine Handwäsche erledigt, danach sitzen wir auf der Wiese vor der Herberge, die mit reichlich Bänken und Wäscheleinen ausgestattet ist, und schreiben unsere Notizen. Im Ort gibt es eine Bar, die ein gutes Pilgermenue anbietet. Später beim Wein, versucht ein junger Mann aus Essen, interlektueller Typ, bei einem großen Elektronik-Konzern beschäftigt, etwas über die Motivation der Einzelnen für den Camino zu erfahren.

Ein häufig genannter Beweggrund den "Camino francès" zu gehen, ist der spirituelle Aspekt. Darüber hinaus gibt es aber noch eine Vielzahl weiterer Motive, die Menschen dazu bewegen diesen langen und beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen: Erfahren der eigenen Grenzen durch körperliche Aktivität auf der einen Seite, Suche nach und Erleben von Ruhe auf der anderen Seite. Freude am Wandern, Wahrnehmen der Natur und gesundheitliche Gründe - jeder Pilger verfolgt sein individuelles Ziel.

Er selbst gibt als Grund an, zu sich selbst finden zu wollen, sagt von sich er sei durchaus religiös, könne aber mit der Amtskirche nichts anfangen. Er räumt allerdings ein, dass es Regeln geben muss und findet es richtig, dass die Kirche nicht populistisch jedem Trend nachgibt.

Um 21.15 Uhr kommen wir zurück zur Herberge. Tatsächlich ist einer da, der unsere Credenciale stempelt und 4,- € kassiert. Um 21.45 ratzt alles tief und fest.

Brücke über den Rio Pisuerga, San Nicolás In der Meseta vor Boadillo del Camino
Boadillo del Camino Schleuse am Kanal von Kastilien vor Fromista

27. April 2008
Población de Campos - Calzadilla de la Cueza

Es war wieder eine erholsame Nacht. Gegen 7.00 Uhr beginnt der allgemeine Aufbruch. Walter hat herausgefunden, dass es in der Bar, obwohl es Sonntag ist, schon ab 7.30 Uhr café con leche und bocadillos gibt. Diese Bar ist eine Institution im Ort. Es gibt das gesamte Angebot eines kleinen Ladens einschließlich Obst und Molkereiprodukten. Wir decken uns mit Proviant und Wasser ein und machen uns auf den Weg. Der führt uns die nächsten 16 km auf einem neu angelegten Fuß- und Radweg immer entlang der P-980 nach Carrión de los Condes. Inzwischen trage ich den Rucksack schon wieder über drei Stunden. Das Frühstück ist längst verbraucht. An einer Kreuzung hat eine Bar geöffnet, genau an einer Bushaltestelle. Da steigen doch tatsächlich 4 Pilger aus dem Bus und setzen sich in Richtung Camino in Bewegung. Wir bestellen erst mal wieder den obligatorischen Milchkaffee mit zwei Croissants und gönnen uns eine halbe Stunde Ruhe. An einer Tankstelle am Ortsende fülle ich meine Wasserflaschen auf, denn was jetzt kommt ist grausam: 17 km bis Calzadilla de la Cueza ohne Wasserstelle, die ersten 4 km auf Asphalt, den Rest auf einer Römerstraße mit grobem Kieselsteinpflaster. Ich spüre jeden Stein. Eine Gruppe junger Japaner die wir schon ein paar mal getroffen haben, lagert nach 4 km am Wegesrand. Eines der Mädchen hat eine Blase an der Ferse. Es ist interessant, wie die vier unterwegs sind: mit Handschuhen, die Arme und das Gesicht vor der Sonne verhüllt, wie der King of Pop. Die Gruppe überholt uns wieder, als wir bei Kilometer 26 wieder eine Pause einlegen. Zwei Becher Reispudding, zwei Fitnessriegel, etwas Obst und die letzte Flasche Wasser begonnen. Es sind immer noch ca. 8 km und mein linker kleiner Zeh schmerzt bestialisch. Ich lockere die Schuhe etwas, aber es hilft nicht viel. Der Weg zieht sich. Gegen 15:30 Uhr haben wir die Herberge in Calzadilla de la Cueza erreicht. Ein großer Raum mit 58 Betten, unten ist schon alles belegt. Für Walter ist das völlig inakzeptabel und wir beschließen, in einem 100 m entfernten Hotel für 40,- € ein Doppelzimmer zu nehmen. Ich schleppe den Rucksack in die erste Etage, Klamotten runter, geduscht und den Zeh versorgt. Neben der halb verheilten Blase haben sich zwei neue gebildet, sieht schlimm aus. Ich öffne sie vorsichtig, drücke die Flüssigkeit raus und klebe ein neues Blasenpflaster darüber. Nach kurzer Pause, Beine hoch, die Wäsche hängt inzwischen schon dekorativ im Hotelfenster, gehen wir eine Runde durch den Ort. Absolut tote Hose. Sieht aus wie ein mexikanisches Dorf in einem alten Western. Nur ein tolles Steinhaus sticht optisch heraus aus den halbverfallenen Lehmhäusern. Wahrscheinlich das Haus der Familie Acero, der das Hotel mit der einzigen Bar des Ortes und auch die Herberge gehört. Klaus, den Hoffenheim-Fan treffen wir in der Hotelbar. Er wohnt aber in der Herberge.
Nach dem Abendessen noch zwei Bier vom Fass und dann ab ins (Hotel)bett. Wie ich meinen Schlafsack vermisse, dieses Gewurstel mit Laken und Decken nervt. Ich schlafe längst nicht so gut, wie in den vorigen Nächten.

Carrión de los Condes in der Tierra de Campos
Calzadilla de la Cueza Terradillos de los Templarios

28. April 2008
Calzadilla de la Cueza - El Burgo Ranero

Frühstück um 7.15 Uhr, lahme Bedienung aber stolzer Preis, ein paar geröstete Stücke Baguette vom Vortag, etwas Butter und Marmelade, Kaffee, ein Glas Saft : 4,40 €.Wir starten gegen 7.40 Uhr. Mein Zeh schmerzt sehr. Da der Pilgerweg die 6 km bis Ledigos immer entlang der N-120 führt, nehmen wir den Bus. Ab Ledigos gibt es einen alternativen Wanderweg der abseits der Nationalstraße über die Dörfer Terrradillo de los Templarios und San Nicolás del Real Camino führt. Zwei Kilometer vor Sahagún, auf einem schönen Rastplatz bei der Kapelle Virgen del Puente, treffen wir auf 3 Radfahrer aus Maastricht. In Sahagún gibt es als 2. Frühstück oder vorgezogenes Mittagessen Eier mit Schinken und Brot mit einem großen Milchkaffee. In der Nähe der Kirche Iglesia de la Trinidad, die auch die örtliche Herberge ist, grüßen wir Bart den Holländer aus Utrecht, Prisca die Schweizerin und Klaus den Hoffenheim-Fan die in einem Straßencafé sitzen. Ich schaue mich schon mal in einem Schuhgeschäft nach leichten Sportschuhen mit Textileinsätzen um, da ich bezweifle, mit meinen Wanderschuhen alleine nach Santiago zu kommen. Leider finde ich nichts Geignetes. über einen eigens für Pilger neu angelegten Weg geht es nach Bercianos del Real Camino und dann neben einer Landstraße bis El Burgo Ranero unserem heutigen Ziel. Das Refugium Domenico Laffi mit 26 Betten, Küche, Waschmaschine, Aufenthaltsraum und Internet, ist im traditionellen Stil der Tierra de Campos aus Lehmziegeln erbaut. Der Empfang durch zwei junge deutsche Frauen, die als Freiwillige die Herberge leiten, ist überaus freundlich. Der offene Kamin verbreitet eine behagliche Wärme, qualmt aber auch ganz schön. Wir bekommen Betten in einem 8er Zimmer. Mein Bett ist oben in Fensternähe. Im unteren Bett schläft bereits ein älterer Spanier, der sich mit seiner Habe so breit gemacht hat, dass ich kaum an meine obere Etage komme. Die Dusche ist schön heiß, die kleine Wäsche schnell erledigt. Den Trockner brauche ich nicht, der starke Wind, der uns den ganzen Tag geärgert hat, kann sich auch mal nützlich machen. Die einzige Sehenswürdigkeit des Ortes ist ein großer Froschtümpel und die alte Kirche mit dem großen Storchennest gleich gegenüber. Aber es gibt mehrere Bars, die alle Pilgermenues offerieren, sowie einen Laden, wo wir unsere Vorräte auffrischen.

Terradillos de los Templarios entlang der N-120 nach Sahagún
Virgen del Puente Herberge in El Burgo Ranero
in der traditionellen Lehmbauweise

29. April 2008
El Burgo Ranero - Leòn

Wir haben ausgiebig in der Bar gegenüber der Herberge gefrühstückt. Unser heutiges Ziel heißt Leòn und ist 39 km entfernt. Wie in Burgos wollen wir auch heute die triesten Vorstädte und Industriegebiete mit dem Bus durchfahren. Zunächst laufen wir 13 km auf dem Pilgerweg, der parallel zur Landstraße verläuft nach Reliegos und dann weitere 6 km auf dem gleichen gut zu laufenden Weg bis Mansilla de las Mulas. Der Himmel ist bedeckt und es ist kühl, zu ungemütlich für eine Pause im Freien. In einer Bar wärmen wir uns bei einem großen Milchkaffee und Croissants auf. Hinter Mansilla überqueren wir auf der 200 m langen, mittelalterlichen Brücke den Fluss Esla und laufen dann 4 km auf dem Weg links neben der stark befahrenen N-120 bis Villamoros. Nach weiteren 4 km neben der Nationalstraße kommen wir zur 300 m langen Brücke über den Fluss Porma und nach Puente de Villarente. Die Gewerbegebiete werden nun immer häufiger und deshalb nehmen wir den Bus nach Leòn. Am frühen Nachmittag kommen wir zur Herberge im Benediktinerinnenkloster mit zwei Schlafsälen a 70 Betten, nach Geschlechtern getrennt. Die Herberge ist trotz der frühen Tageszeit schon gut gefüllt, zu Walters Leidwesen ist auch keines der normalen Gästezimmer mehr frei. Wir beginnen unser Besichtigungsprogramm mit der Kathedrale. Sie gilt als die schönste Spaniens und ist die einzige, die im 13./14. Jh. im Stil der französischen Gotik gebaut wurde. Durch die ca. 200 wunderschön verzierten Fenster mit einer Gesamtfläche von mehr als 1.800 qm fällt sehr viel Licht ins Kircheninnere, ein Gegensatz zu den bisher besichtigten spanischen Kirchen. Sehenswert sind auch der Hauptaltar, der Chor und der Kreuzgang.
Ein kurzer Besuch der Basilika San Isidoro, wo die Reliquien des hl. Isidors ruhen, der im 6. Jh. Bischof von Sevilla war. Dann vorbei am Pantheon, dem Rest des Palastes der Könige von Leòn. zur Plaza San Marcos.
Das Kloster San Marcos, unmittelbar an der alten Brücke die über den Rio Bernesga führt, kann nur von außen besichtigt werden. Im 16. Jh. im Renaissancestil erbaut, fällt es besonders durch seine mit Steinreliefs überaus reich verzierte 100 m lange Fassade auf. Heute befindet sich in diesem Gebäude ein staatliches Parador Luxushotel. Von der Plaza San Marcos gehen wir die Uferpromenade entlang, vorbei an wunderschön blühenden Tamarisken und Fliederbüschen und kommen "gaaanz zufällig" zu einem McDonalds. Inzwischen wieder mächtig hungrig, können wir nicht vorbei gehen.

Zurück in der quirligen City finde ich auch ein größeres Schuhgeschäft und dank der Geduld des Besitzers ein Paar geeignete Schuhe. Es sind die einzigen in Größe 45, grundhässlich, silberfarbig mit Textileinsätzen. Ich behalte sie gleich an um sie einzulaufen und habe den Eindruck, ganz Leòn schaut nur noch auf meine Schuhe. Obwohl es auf sieben Uhr zugeht, haben alle Restaurants geschlossen. Wir erfahren, dass wahrscheinlich aufgrund einer kommunalen Bestimmung, die Esslokale erst um 20.00 Uhr öffnen. Das heißt, wir dürfen uns nicht endlos Zeit lassen, denn die frommen Schwestern schließen bereits um 21.30 die Herbergspforte. Wir finden eine nette Pizzeria, essen zu Abend und kommen bei Nieselregen rechtzeitig zur Herberge. Der Riesenschlafsaal ist jetzt voll belegt. Wir haben unser Etagenbett direkt an einem Fenster, welches wir so manipulieren, dass niemand es in der Nacht einfach schließen kann. Wie üblich wird um 22.00 Uhr das Licht gelöscht und es kehrt Ruhe ein.

Kathedrale von Leòn Kreuzgang der Kathedrale von Leòn
Leòn, alte Brücke an Kloster San Marcos Leòn, ehem. Kloster San Marcos
heute Luxushotel der staatlichen Parador-Gruppe

30. April 2008
Leòn - Hospital de Òrbigo

Die Nacht war trotz des großen Schlafsaals gut, die Geräuschkulisse durchaus erträglich. Nur beim allgemeinen Aufbruch um 6.30 Uhr gab es ein ziemliches Gedränge. Wir hatten uns gestern schon informiert, wo der Bus in die westlichen Vororte abfährt und rollen um 7.15 Uhr durch die Vorstadt und Industriegebiete nach La Virgen del Camino. Beim Betreten einer Bar treffen wir Bart, Prisca und Klaus, die mit einem Taxi bis hierher gefahren sind. Zum Frühstück gibt es einen großen Milchkaffee und ein bocadillo mit Schinken und Käse und ab geht's auf neuen Schuhen. Es läuft sich nicht schlecht, nur mein Rucksack ist jetzt durch meine Wanderschuhe wieder ein Kilo schwerer. Am Ortsende von La Virgen del Camino gabelt sich nach 300 m der Pilgerweg. Es geht entweder die gesamten 25 km bis Hospital de Òrbigo entlang der N-120 oder alternativ über die Weiten der kastilischen Felder auf einsamen Pisten nach Villar de Marizife (14 km) und weitere 16 km bis Hospital de Òrbigo. Einerseits weil wir befürchten, dass der nächtliche Regen die einsamen Pisten wieder aufgeweicht hat und andererseits weil auch vor uns laufende Pilger so gehen, nehmen wir die Variante entlang der Straße. Das dieses die falsche Entscheidung war, wird schnell klar denn teilweise verläuft der Weg auf dem Bankett der vielbefahrenen Straße, so dass der Sog der LWK's mir fast die Mütze vom Kopf reißt. Beim Durchlaufen von Valverde de la Virgen fällt unmittelbar rechts neben der Straße der Rest einer kleinen Kirche auf, von der eigentlich nur noch der Turm mit 2 Glocken steht. Eigentlich nicht mal ein Turm, sondern nur ein dreigeschosshoher Giebel mit einem Kreuz und zwei freihängenden Glocken, die über eine eiserne Wendeltreppe erreichbar sind. Dieses Bauwerk wird gekrönt von sechs überdimensionalen, bewohnten Storchennestern, deren Bewohner der Straßenlärm offensichtlich nicht stört.

Das Wetter hat sich nach dem Regen der Nacht Gott sei Dank wieder beruhigt, es ist sonnig aber kalt. Nach über 18 km und 3,5 Stunden Laufzeit machen wir an der Pilgerherberge von San Martin del Camino eine kleine Pause und verzehren unseren Proviant. Weiter geht es auf oder in unmittelbarer Nähe der N-120. Ein Schild sagt, dass es für Autofahrer noch 330 km bis Santiago sind, für Fußpilger inzwischen schon weniger als 300 km. Nach 6,5 km kommen wir zu der imposanten Römerbrücke, die den Fluss Òrbigo überquert. Über 200 m lang ist sie und hat, wenn ich richtig gezählt habe, 20 steinerne Bögen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, für welche Wassermassen sie gebaut wurde, denn der Rio Òrbigo fließt gerade mal unter drei Brückenbögen. Am anderen Ende der Brücke essen wir noch eine Kleinigkeit und schlagen nach, welche Übernachtungsmöglichkeiten es gibt. Wir gehen zuerst zur Gemeinde-Herberge "Karl Leisner" die von 1991-1993 von Freiwilligen des Christophorus-Jugendwerks Breisach liebevoll restauriert wurde. Der erste Eindruck ist gut und wir schreiben uns ein. Der zweite Blick in die engen und muffigen Schlafräume und die Tatsache, dass sich Duschen und Toiletten nicht überdacht im Innenhof befinden, lässt Zweifel aufkommen. Wir lassen unsere Rucksäcke erst mal hier und schauen uns die private Herberge "San Miguel" ein paar Häuser weiter an. Sie gefällt uns wesentlich besser. Es gibt 42 Plätze verteilt auf mehrere Räume, sehr gute Matratzen, neue Sanitärkabinen, einen schönen Innenhof mit überdachtem Freisitz, Küche, beheizten Aufenthaltsraum und Internetanschluß. Das ganze Haus ist mit Bildern dekoriert, die von Pilgern gemalt wurden. Für ambitionierte Talente steht eine Staffelei und Farben bereit. Die ausgestellten Bilder sind wirklich sehenswert.

Der Wechsel in die andere Herberge ist problemlos. Die junge Hospitalera zeigt Verständnis und behält noch nicht mal die bereits gezahlten 4,- € als Spende.

Nach dem Duschen nehme ich mir meine Füße vor. Der kleine Zeh hat die 26 km gut überstanden, dafür habe ich jetzt durch die neuen Schuhe unter beiden Füßen neue Blasen. Mein Vorrat an Blasenpflastern geht zur Neige, aber in der örtlichen Farmacia gibt es auch Compeed-Pflaster und sogar viel preiswerter als in Deutschland. Auf unserer Runde durch den Ort begegnen uns auf der Brücke Bart, Prisca und Klaus, die den schöneren Umweg gelaufen sind. Da unsere Herberge noch nicht ausgebucht ist, haben sie kein Problem unterzukommen. Wir trinken vor dem Essen schon mal ein Fläschchen Rotwein, das uns der junge brasilianische Helfer verkauft, und beobachten wie er die Kaminöfen in Aufenthaltsraum und Küche anheizt. Im Nu verbreitet sich angenehme Wärme, die durch den mit Glas überdachten Innenhof bis in die Schlafräume zieht. Unsere drei Mitpilger harmonieren gut zusammen, Prisca hat die Männer gut im Griff. Während Klaus Spaghetti kocht, massiert Bart ihr hingebungsvoll die Füße. Walter und ich gehen zum Abendessen in eine nahe Bar. Ich wähle als Pilgermenue Makkaroni mit Thunfisch, Calamares romana, Joghurt mit Honig, und zahle incl. Brot und Wein 8,- €. Zurück in der Herberge bei einem Absacker spricht Walter mit drei Franzosen in ihrer Muttersprache, während ich mich mit einer Pilgerin aus Irland unterhalte.

Valverde de la Virgen Entlang der N-120 nach Hospital de Òrbigo
Römerbrücke über den Rio Òrbigo Storchennester auf einer Kirche in Hospital de Òrbigo

1. Mai 2008
Hospital de Òrbigo - Rabanal del Camino

Um 6.00 Uhr höre ich, wie schon jemand in der Küche hantiert. Wie wir später erfahren, waren das unsere Drei. Da die Küchentür noch verschlossen war, haben die beiden Männer die leichte Prisca durch ein offenes Schiebefenster gehoben. Sie organisierte das Frühstück und bevor die ersten aufstanden, waren die Drei schon unterwegs. Wir frühstücken kurz nach sieben. Es gibt Kaffee, Milch, Weißbrot (endlich mal kein geröstetes Baguette vom Vortag), Butter, Marmelade, Fruchtsaft und Obst. Noch vor acht sind wir unterwegs. Ich laufe wieder auf meinen hässlichen Schleichern. Aus Erfahrung klug, nehmen wir heute nicht den Weg entlang der N-120 sondern den etwas längeren über Santibáñez. Leider wird hinter dem Ort die Piste so steinig, dass ich wieder auf meine Bergschuhe wechseln muß. Der Weg führt durch Felder und Wälder mehrmals steil bergauf und bergab bis wir zum Wegkreuz von Santo Toribio gelangen. Das Panorama von hier oben ist phantastisch. Im Norden und Westen hohe, schneebedeckte Berge und im Vordergrund die Türme der Kathedrale von Astorga. Von links kommt der Pilgerweg, welcher der Nationalstraße gefolgt ist. Nach steilem Abstieg passieren wir das Dorf San Justo de la Vega , überqueren auf einer Fußgängerbrücke den Fluss Tuerto und kommen nach 16 km in Astorga an. Es ist Zeit für eine Pause, der Schmerz an meinem linken Fuß treibt mir die Tränen in die Augen. Wir besichtigen die Kathedrale mit ihrer wunderschönen Fassade, dem Hauptaltar und Chor im Renaissancestil und den Bischofspalast, der von Antonio Gaudi in seinem unverkennbaren neugotischen Jugendstil von 1889 bis 1913 geschaffen wurde. Der Palast dient heute als Museum, u.a das Museum der Jakobswege.

Hinter Astorga verändert sich die Landschaft. Bis zu den Montes de Leòn erstreckt sich die hügelige Landschaft der Maragateríá mit kargen Feldern und Büschen. Auf einem Spielplatz mit Wasserstelle in Murias de Rechivaldo treffen wir Bart, Prisca und Klaus. Sie haben die Schuhe ausgezogen, liegen im Gras und halten Mittagsschlaf. Ich stelle meinen Rucksack neu ein, denn der drückt schon den ganzen Tag einseitig. über eine schöne Piste neben einer kleinen Landstraße geht es nach Santa Catalina de Samoza. Wir glauben schon in El Ganso zu sein, weiter will Walter heute nicht laufen, denn auch er hat ein Problem mit der Wade. Aber bis El Ganso sind es weitere 4 km. Dort angekommen stellen wir fest, dass die Herberge alles andere als gut ist. Wir fragen ein junges Paar, das gerade seinen Mercedes-Geländewagen auslädt, nach einer weiteren Unterkunftsmöglichkeit oder einem Taxi, da es zum nächsten Ort noch ca. 6 km ist. Angesichts unseres angeschlagenen Zustands packt der Mann uns in seinen Wagen und fährt uns bis zum Ortseingang Rabanal del Camino. Nehmen will er für diese Gefälligkeit nichts, er bittet uns lediglich in Santiago ein Vaterunser für ihn zu sprechen.
In Rabanal del Camino gibt es mehrere gute Herbergen. Wir gehen zum Refugio Gaucelmo, einer Herberge die von der Britischen Confraternity of Saint James unterhalten und von englischen Freiwilligen betreut wird. Die englische Jakobus-Gesellschaft hat 1989/1990 das alte Pfarrhaus wieder aufgebaut und ist derzeit noch dabei die gegenüberliegende romanische Kirche zu restaurieren. Die Herberge gilt als eine der besten des Caminos mit 44 Betten, Küche und einem schönen Innenhof, Übernachtung und Frühstück auf Spendenbasis. Sie ist gegen 16.00 Uhr bereits gut belegt, wir bekommen 2 obere Betten, was Walter nicht so gut findet. Nach dem Duschen in blitzsauberem Duschraum und der Wäsche sitzen wir im Garten und entspannen uns. Mit uns zu Gast ist eine Gruppe von vier australischen Männern in unserem Alter, die uns unterwegs mit ihren großen Lederhüten und ihrem Lauftempo auffiel. Bei einer Runde durch den Ort, kaufen wir in einem kleinen Laden,der trotz des Maifeiertages geöffnet hat, etwas Proviant und schauen uns die zweite Herberge an, in welcher Prisca mit ihren Begleitern abgestiegen ist. Sie ist ebenfalls gut und hat sogar eine Freiluftbar im Vorhof, in welcher Fassbier ausgeschenkt wird. Nach dem Abendessen kommen um 21.30 wie jeden Abend zwei Benediktinermönche aus dem kleinen Kloster des Ortes und singen in der halbfertigen Kirche eine lateinische Complet. Es ist nach 22.00 Uhr als wir mit anderen Kirchenbesuchern den Schlafsaal betreten und das Licht einschalten. Einige Pilger liegen schon im Bett und reagieren sauer. Ganz besonders Jerónimo, ein Pilgeroriginal aus Holland, ein Typ zum Fürchten. Sein Alter ist undefinierbar, das graue Haar schulterlang, zotteliger langer Bart, trägt unter einer kurzen Turnhose, eine lange, braune Strumpfhose. Er ist nach eigener Angabe bereits mehrere Male wiedergeboren und wird allgemein, trotz seiner lauten Art, als gutmütiger Spinner betrachtet.

Wegkreuz von Santo Toribio Rathaus von Astorga
Astorga, Bischofspalast
von Gaudi 1889 bis 1913 im neugotischen Stil geschaffen
Camino zwischen Murias de Rechivaldo und Santa Catalina de Somoza

2. Mai 2008
Rabanal del Camino - Ponferrada

Um 6.00 Uhr früh schaltet Jerónimo das Licht an und ruft laut: "Aufstehen, es ist sieben Uhr ". Auch die Rufe der Anderen, Licht aus es ist erst sechs, stimmen ihn nicht um. "Wenn ich sage es ist sieben, dann ist es sieben" meint er und beginnt zu packen. Es ist offenbar seine persönliche Revanche für die Störung am gestrigen Abend. Nach und nach stehen auch die anderen auf. Überrascht stelle ich fest, dass in meinem unteren Bett eine junge Frau liegt, ich bin sicher, gestern Abend lag da ein Mann. Die Lösung: Sie schlief im Nebenraum und hatte in der Nacht auf der Flucht vor einem Intensiv-Schnarcher mit ihrem Bekannten das Bett getauscht.
Wir starten nach dem Frühstück gegen 7.30 Uhr. Es ist so kalt, dass das Gras und die Blumen weiß bereift sind, immerhin sind wir auf einer Höhe von 1.150 m und es geht weiter stetig bergauf. Nach 6 km kommen wir zu dem verlassenen Dorf Foncebadón auf 1.420 m, welches einst eine wichtige Station auf dem Jakobsweg war, im 10. Jh. fand hier sogar ein Kirchenkonzil statt. Inzwischen hat man offenbar erkannt, wie günstig der Ort an der Kreuzung von Pass-Straße und Pilgerweg liegt und hat mit der Wiederbelebung begonnen. Nach einem weiteren Kilometer sehen wir von weitem, vor dem Hintergrund der schneebedeckten Berge, das Cruz de Ferro, ein schlichtes Eisenkreuz, das befestigt auf der Spitze eines 6 m hohen Eichenstamms aus einem gewaltigen Steinhaufen ragt. Die Sonne scheint und der Himmel ist bilderbuchmäßig blau als wir wenig später auf Passhöhe 1.517 m am Kreuz ankommen. Hier werfe ich die mitgebrachten Kieselsteine einzeln mit einer Fürbitte auf den Steinhaufen, gemäß einer tausendjährigen Pilgertradition. Walter meint, jetzt hat der Herrgott aber eine Menge Arbeit. Auf dem Rastplatz beim Kreuz machen wir eine ausgiebige Pause und genießen die Aussicht vom höchsten Punkt unseres Pilgerweges. Der führt nun 2,6 km rechts neben der Höhenstraße weiter bis in das verlassene Dorf Manjarín. Hier gibt es eine sehr einfache Herberge die von Tomás geführt wird. Er war 1993 auf dem Weg nach Santiago und entschied sich in der Einsamkeit von Manjarín zu bleiben und nach der Tradition der Tempelritter für die Pilger zu sorgen. Es gibt kein Trinkwasser aber 2 Plumpsklos, 2 kalbsgroße Haushunde, eine schöne Kapelle und einen skurrilen bunten Wegweiser von Alaska bis Timbuktu. Bei Nebel läutet Tomás eine große Glocke, damit man seine Herberge findet.
Der Abstieg von 1.500 m auf 600 m über scharfkantiges Gestein erweist sich als äußerst mühsam. Ein falscher Tritt, ein umgeschlagener Fuß kann das Ende der Pilgerreise bedeuten. Hinter Riego de Ambrós überholt uns auf einem herrlichen Wanderweg zwischen weißblühendem Ginster wieder unser schweizerisch-holländisch-deutsches Trio. Als wir 5 km später in Molinaseca auf der Römerbrücke den Meruelo überqueren, sehen wir sie wieder unten am Fluss in einer Gartenwirtschaft sitzen. Wir setzen uns dazu und gönnen uns ein eiskaltes Cola. Für Walter ist hier in Molinaseca Schluß für heute, er braucht mal wieder ein Hotelzimmer um sich mal so richtig auszuschlafen. Außerdem will er nicht mehr so große Etappen laufen und auch nicht zu Pfingsten schon in Santiago sein, der Trubel ist ihm da zu groß.
Ich laufe weiter, um mir die örtliche Herberge zu suchen und finde sie 600 m hinter dem Ortsausgang, aber geschlossen. Deshalb wandere ich noch die 8 km über Campo nach Ponferrada, wo ich die Pfarrherberge "San Nicolas de Flüe" aufsuche. Es ist eine große, relativ neue Herberge mit 186 Plätzen, die von einem wohlhabenden Schweizer gestiftet wurde, modern und ansprechend ausgestattet, Sanitäranlagen tipp topp. Hier treffe ich wieder die australische Männerriege und natürlich "Die Drei". Nach Dusche und Wäsche fragen sie mich, ob ich nicht mit in die Stadt gehen wolle. Ich nehme dankend an und so besichtigen wir vier die Templerburg und die Altstadt von Ponferrada .

Um den Templerorden, der 1118 von Kreuzrittern in Jerusalem gegründet wurde, ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden. Die Templer waren zugleich Ritter und Mönche, die sich den Schutz der heiligen Stätten und der Pilgerwege zur Aufgabe machten. So hatte die bestens erhaltene, wie ein Dornröschenschloss aus Disneyland anmutende Templerburg in Ponferrada die Aufgabe, den Pilgerweg und die Brücke über den Sil zu sichern.

Beim Abendessen in einem netten Lokal erzählt Prisca von ihrer Zeit in Bombay, wo sie 2 Jahre Sozialarbeit geleistet hat. Heute arbeitet sie in der Nähe von Bern in einem Krankenhaus. Habe versucht, telefonisch Walter zu erreichen, aber sein Telefon war abgeschaltet. Die Nacht im 60-Betten-Schlafsaal ist dank Ohrstöpsel und Rotwein kein Problem.

Das verlassene Dorf Foncebadon Cruz de Ferro
Molinaseca, Römerbrücke über den Rio Meruelo Templerburg in Ponferrada

3. Mai 2008
Ponferrada - Villafranca del Bierzo

Um 6 Uhr beginnen die ersten Frühstarter im Lichtschein von Stirnlampen zu packen. Da mehrfach Silencio gerufen wird, bleibt das Licht im Schlafsaal bis 6.45 Uhr aus. Nach einem Kaffee aus dem Automaten gehe ich kurz nach sieben im Halbdunkel los. Die Straßenlampen brennen noch, als ich durch die Altstadt laufe und den Fluss Sil überquere. Erst der Uferpromenade folgend, dann durch ruhige Vorstadtstraßen, Parks und Tennisanlagen verlasse ich Ponferrada. Nach einer Stunde finde ich in Columbrianos eine offene Bar, wo ich frühstücke. Weiter geht es auf einem schönen Weg in leicht hügeligem Gelände durch Weinfelder und Wälder bis Cacabelos. In einem Park gleich hinter der Kirche, um welche hufeisenförmig 35 Kabinen mit je 2 Betten als Herberge gebaut wurden, lege ich eine Rast ein. Es ist jetzt halb elf und ich bin schon 16 km gelaufen. Ein paar Kilometer weiter, hinter dem Ort Pieros, weisen neue gelbe Pfeile nach rechts auf einen Feldweg, während die noch gut erkennbare alte Markierung entlang der Straße zeigt. Ich bin verunsichert und da auch der Wanderführer sich nicht klar ausdrückt, entscheide mich dann aber die Straße zu verlassen. Mir scheint, die Änderung der Markierung wurde von den Weinbauern eigenmächtig vorgenommen, um den Pilgerstrom durch ihre Dörfer zu leiten, was häufiger vorkommt. Vor und hinter mir ist kein einziger Pilger zu sehen. In stetigem bergauf und bergab windet sich der Weg durch die Weinberge des Bierzo. In einem heruntergekommenen Dorf werden in einer Garage Getränke und bocadillos angeboten. Inzwischen ist es halb eins. Die Sonne brennt gnadenlos, meine Füße und die Schultern auch. Die Markierung ist schlecht, mehrfach ist an Abzweigungen kein gelber Pfeil erkennbar oder Zeichen in anderen Farben tragen zur Verwirrung bei. Ein alter Mann, den ich frage, bestätigt mir aber, dass ich noch auf dem Camino bin und es bis zum nächsten Ort nur noch ca. 1,5 km sind. Tatsächlich habe ich nach einer Viertelstunde eine wunderschöne Aussicht auf Villafranca del Bierzo, welches auch "das kleine Compostela" genannt wird. Früher wurde Pilgern die auf dem Weg erkrankt waren, schon hier der Ablass von ihren Sündenstrafen gewährt.

Gleich das erste Haus rechts auf meinem Weg hinunter ins Tal ist die Gemeindeherberge. Sie ist ziemlich neu und laut Beschreibung auch gut ausgestattet. Einige Pilger warten schon vor der Tür. Eine moderne, fast sterile Herberge hatte ich gestern auch, deshalb zieht es mich 100 m weiter zur privaten Herberge "Ave Fenix", gleich hinter der einstigen Ablasskirche. Diese Herberge wird von der Familie Jato betrieben. Sie wurde nach den alten Plänen des früheren Pilgerhospitals in mehreren Phasen mit viel Holz und Natursteinen wieder aufgebaut und wirkt dadurch sehr rustikal. Es gibt in mehreren Räumen 80 Betten, das besondere, es gibt einen Raum mit 8 Betten und viel Platz für "mayores", das heißt für ältere. Mit meinen 63 Jahren fühle ich mich dieser Gruppe zugehörig und belege hier ein Bett. Kurz nach mir tauchen Prisca, Bart und Klaus auf und ziehen in den Schlafsaal fürs Jungvolk. Nach Dusche, Wäsche und Fußpflege mache ich mich auf, um den Ort zu erkunden. Es gibt zahlreiche Kirchen, Monumente, einstige Pilgerhospitäler und eine Burg aus dem 16. Jh. Auf der Plaza Mayor sitze ich bei einem Kaffee und schaue zu, wie sich vor dem Rathaus eine große, farbenfrohe Hochzeitsgesellschaft für ein Gruppenfoto aufstellt. Die Kleider der Frauen ähneln stark einem Theaterfundus für die Oper Carmen. Nach der Rückkehr zur Herberge werde ich aus der Distanz Zeuge, wie Prisca einen jungen Radpilger wieder aufbaut, der offensichtlich einen seelischen Tiefpunkt hat. über eine Stunde hört sie zu und gibt Ratschläge bis der Junge sichtbar aufgemuntert wirkt.

Das Abendessen nehmen wir in der Herberge ein. Frau Jato hat für alle gekocht, einfach, aber das Richtige für hungrige Pilger: Eine dicke Suppe mit Kartoffeln und Fleischeinlage, kross gebratene Spiegeleier mit Knofiwurst , Brot und Salat. Mit uns am Tisch sitzt ein schwäbisches Winzerpaar, Rudolf und Karla, die sich eine zweiwöchige Auszeit genommen haben und in Leòn gestartet sind.

Walter habe ich auch heute nicht ans Telefon bekommen. Ich hatte fast damit gerechnet, ihn hier zu treffen, denn Villafranca wäre auch für ihn erreichbar gewesen. Von meinem Vorsprung gegenüber meinem Plan habe ich heute wieder 10 km verloren aber die 26 km in der Hitze haben mir gereicht.

Cacabelos, Rio Cua Durch die Weinberge des Bierzo
Villafranca del Bierzo, Herberge Ave Fenix Villafranca del Bierzo, Santiagokirche und Herberge Ave Fenix

4. Mai 2008
Villafranca del Bierzo - O Cebreiro

Die Nacht war wieder super, habe bis kurz vor sieben geschlafen. Außer mir waren nur ein englischer Radpilger mit seinen beiden minderjährigen Töchtern im Raum. Frühstück gibt es in buffetform, sogar Wurst und Käse fehlen nicht. Zur Erinnerung: Übernachtung, Abendessen und Frühstück 14,50 €. Um 7.30 Uhr starte ich mit Rudolf und Karla, "die Drei" sind schon lange weg. Hinter der Brücke über den Fluss Búrbia gibt es zwei Möglichkeiten. Der Hauptweg führt links neben der Straße weiter. Die Nebenroute, auch Camino duro "der harte Weg" genannt, führt geradeaus steil bergauf, ist 3 km länger aber dafür landschaftlich schöner. Rudolf und Karla sind noch frisch, sie laufen ja auch erst seit vier Tagen und wählen den harten Weg. Ich will heute wenigstens 30 km weit bis La Faba kommen und nehme den Weg durchs Tal. Es geht eine ganze Weile hinter einer Betonplanke entlang der alten Nationalstraße, zur Linken der Fluss. Seitdem die Autobahn fertig ist, gibt es kaum noch Verkehr, außerdem ist Sonntag. Nach 12 km nehme ich in La Portela del Valcare in einer Bar einen café con leche mit Kuchen und in Vega de Valcare fülle ich meinen Proviant auf. Kurz nach Mittag mache ich bei Kilometer 23 meiner heutigen Etappe in Herrerías auf einem gepflegten Rastplatz an einem Bach Mittagspause. Danach geht es auf einem wunderschönen, einsamen aber steilen Waldweg noch 7 km hoch nach La Faba auf 917 m , was eigentlich mein heutiges Ziel ist. Da es aber noch früh ist, beschließe ich auch noch die 5 km bis O Cebreiro zu laufen. Das bedeutet, weitere 385 Höhenmeter auf schwer zu gehendem Bergpfad. Am Ortausgang von Laguna de Castilla, am Beginn des Pfades, steht der englische Radpilger mit seinen Töchtern und schaut ziemlich ratlos. Sie haben offenbar die besondere Markierung für Radfahrer übersehen. Es hilft nichts, sie müssen ein Stück zurück und den Aufstieg auf der alten Nationalstraße machen. Nach einer Viertelstunde komme ich zu einem wappenverzierten Grenzstein, der mir anzeigt, dass ich Galicien betrete und zwar die Provinz Lugo. Nach einem weiteren Kilometer mit herrlicher Aussicht erreiche ich die Passhöhe und den ersten galicischen Ort O Cebreiro. Das ganze Dorf ist praktisch ein Freilichtmuseum und dauernd von Touristen überschwemmt. Es gibt noch heute die runden Häuser mit Strohdach, die sogenannten pallozas. Sie gehen zurück auf die mehr als 2.500 Jahre alte Bautradition der Kelten, die sich in den Bergen der Provinz Lugo bis in die heutige Zeit erhalten hat. In der wuchtigen, aus unbehauenen Granitsteinen gebauten Kirche mit ihren kleinen Schießscharten ähnlichen Fenstern, wird der Heilige Kelch von Galicien aufbewahrt, der auf folgende Legende beruht, die auch "das heilige Wunder" genannt wird:

An einem stürmischen Winterabend im 12. Jh. kam ein Bauer von seinem abgelegenen Hof in die Kirche um die Messe zu besuchen. Der Pfarrer äußerte sich geringschätzig über die Anstrengung, bei derart schlechtem Wetter einen solchen Weg auf sich genommen zu haben, nur um die Messe zu hören. Da verwandelte sich die Hostie in Fleisch und der Kelch füllte sich mit Blut.
Die Gräber der beiden Protagonisten, des Pfarrers und des Landwirts, findet man neben dem wunderschönen Heiligenbild der "Santa Maria La Real".

Die Herberge ist das letzte Haus des Ortes. Sie wurde erst im vorigen Jahr renoviert, hat 80 Betten in 2 Schlafsälen und ausgezeichnete Sanitärräume. Die übernachtung kostet nur 3,- € und dafür gibt es auch noch einen Einwegbezug aus Flies für die Matratze und das Kopfkissen. Ich finde ein Bett an einer Säule mit einer Steckdose und kann endlich wieder mein Handy aufladen. Gegen vier Uhr treffen Rudolf und Karla, die beiden Schwaben ein und meinen, so hart wäre der "Camino duro" gar nicht gewesen. Die australische Männergruppe ist auch schon da. Bei meiner Ortsbesichtigung lande ich in einer urigen Kneipe, wo ich Klaus aus Hamburg kennen lerne. Er ist Mitte 40, Typ Manager und ist mit seinem Schwager Götz auch in Leòn gestartet. Die beiden wohnen ausschließlich in Privatunterkünften, die sie durchgängig von zu Hause aus gebucht haben. Klaus erzählt von seiner Familie, schwärmt von seinen beiden Kindern und spricht sehr nachdenklich über den kürzlichen unerwarteten Tod seines Vaters, der an einem Aneurisma verstarb.

Beim Verlassen des Lokals ist es draußen wie im November, der ganze Berg ist in Wolken gehüllt.

Camino von La Faba nach O Cebreiro Grenze zu Galicien
O Cebreiro, Pazollas
Rundhäuser in 2.500jähriger keltischer Bauweise
O Cebreiro, Bergdorf in 1.300 m Höhe

5. Mai 2008
O Cebreiro - Triacastela

Wie üblich beginnt vor sieben der allgemeine Aufbruch. Ich lasse mir Zeit und warte bis die meisten schon weg sind. Der Blick aus dem Fenster ist phantastisch. Hier oben beginnt der Tag mit einem wunderbaren Sonnenaufgang, während über den Tälern noch dichter Morgennebel liegt. Ich gehe erst mal zurück ins Dorf, wo ich auch zu so früher Stunde bereits eine geöffnete Bar finde. Ein Frühstück mit einer Riesentasse Milchkaffee weckt meine Lebensgeister. Um acht Uhr laufe ich wieder an der Herberge vorbei auf einem Waldweg abwärts bis Liñares. Dieser Weg ist zwar länger als wenn ich dem Straßenverlauf gefolgt wäre, ist aber ungleich schöner. Dann geht es parallel zur LU-634 bis auf die Passhöhe San Roque (1.270m) und weiter zum Ort Hospital da Condesa. Danach beginnt ein weiterer Aufstieg, der mich zum höchsten Pass des Pilgerweges in Galicien bringt, dem 1.337 m hohen Alto do Polo. Die nächsten 12 km geht es 700 Höhenmeter bergab, immer auf separatem Pfad parallel zur Straße. Da ich allein unterwegs bin, teile ich mir meine Kraft ein und mache häufiger kleine Pausen, auch um das Bergpanorama zu genießen. Langsam verändert sich der Weg. Er verläuft jetzt als Hohlweg zwischen Natursteinmauern und beschattet von alten Eichen durch mehrere Dörfer. Da der Weg auch zum Viehtrieb genutzt wird, kennen meine Schuhe bald sämtliche Kühe Galiciens. Hier in Galicien steht nach jedem Kilometer ein Jahrhunderte alter Meilenstein, der den Namen des Ortes, die Provinz und die Entfernung nach Santiago anzeigt. Ich passiere gerade den Stein mit der 132. Soll das wirklich stimmen ? Die Steine stehen seit Jahrhunderten, der Weg jedoch verändert sich ständig. Hier entsteht ein neues Industriegebiet, dort wird der Flughafen erweitert oder ein 18-Loch Golfplatz wird angelegt und immer verlängert sich dadurch der Pilgerweg. Nicht zu vergessen die Wirte der Bars, die die Pfeile so abändern, dass man an ihrem Geschäft vorbeikommt. Gegen 13.30 habe ich schon Triacastela erreicht. Eigentlich noch zu früh um hier schon Schluss zu machen, aber die nächste Herberge ist erst in 11 km und die möchte ich meinem Zeh doch nicht mehr zumuten. Die erste Herberge liegt gleich am Ortseingang in einer Wiese. Die wartenden Pilger vor der Tür zeigen, dass noch nicht geöffnet ist. Ich orientiere mich an den Blättern der Paderborner Pilgerfreunde und wähle die Privatherberge "Aitzenea" aus. 38 Betten, Aufenthaltsraum, kleine Küche, Waschmaschine und Trockner sowie saubere Sanitäranlagen und Internet werden versprochen. Ich finde die Herberge in einem uralten Haus 50 m hinter der Fußgängerzone und alles ist so wie beschrieben . In dem 6-Bett-Zimmer zu dem die Hospitalera mich bringt ist bereits eine Frau. Wir begrüßen uns, es ist Maud aus Düsseldorf. Nachdem wir uns eingerichtet haben, gehen Maud und ich eine Runde durch den Ort und setzen uns in ein Straßencafé am Pilgerweg. Sie erzählt mir, dass sie Teilnehmerin der Aktion "Kranke Frauen auf dem Jakobsweg" ist. Ich hatte darüber in der Zeitung gelesen. Die Sporthochschule Köln hatte zu diesem Programm aufgerufen, Maud hat sich beworben und sie wurde mit elf anderen Frauen ausgewählt. Alle zwölf hatten Brustkrebs und gelten als geheilt. Gerade geheilte Krebspatienten aber, die körperlich gesund sind, fühlen sich häufig allein gelassen, haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper, sind psychisch unsicher und zeichnen sich durch wenig Vertrauen in sich selbst und in ihr eigenes, neues Leben aus. Der lange und beschwerliche Weg nach Santiago de Compostela soll helfen, wieder eine neue Beziehung zu Körper und Seele entstehen zu lassen. Die zwölf Frauen wurden monatelang darauf vorbereitet, allein und mit Gepäck den Jakobsweg in etwa 40 Tagen zu Fuß zu bewältigen. Ziel der Aktion ist es, neben der Stärkung des Selbstbewusstseins festzustellen, welchen positiven Effekt die Dauerbelastung auf das Autoimmunsystem hat. Das Projekt wird von 2 Sportstudenten begleitet, die zu jeder Zeit für die Betroffenen da sind, um medizinische, psychische sowie organisatorische Unterstützung zu leisten. Um dies zu ermöglichen, hat jede Teilnehmerin ein Handy dabei. Die Begleiter sprechen spanisch, so dass sprachliche Barrieren überbrückt werden können. Maud bekommt der Camino sehr gut. Sie, die am Anfang des Trainingsprogramms keine Stunde lang ihren Rucksack tragen konnte, ist nun schon über 650 km gelaufen und den Rest schafft sie auch noch. An ihre Krankheit denkt sie nicht mehr. Übermorgen trifft sie in Portomarin eine Reporterin der Deutschen Welle, die sie einen Tag lang begleitet.

Während wir erzählen, laufen Klaus und Götz vorbei und suchen ihr gebuchtes Quartier. Zurück in der Herberge, stelle ich fest, dass 3 weitere Frauen in unserem Zimmer schlafen, zwei Frauen aus Süddeutschland und eine aus Essen. Sie heißt Charlotte, war früher Leistungssportlerin und läuft auch jetzt noch täglich am Baldeneysee. Im Aufenthaltsraum treffe ich die Australier, die ebenfalls hier untergekommen sind. Ich benutze noch mal das Internet um mein Postfach zu sichten und meinem Sohn einen Zwischenbericht zu schreiben. Heute Nachmittag bekam ich einen Anruf von Uschi aus Trier, wo unsere Matthias-Pilger den ersten Ruhetag verbringen. Wir wünschten uns gegenseitig viel Glück für unsere Wallfahrt und im Hintergrund rief mir die ganze Gruppe ein lautes "buen camino" zu. Zum Abendessen gehe ich mit Maud und Charlotte in den Ort.

Passhöhe Alto de San Roque Hospital da Condesa
Landschaft zwischen Hospital da Condesa und Ramil Camino zwischen Hospital da Condesa und Ramil

6. Mai 2008
Triacastela - Barbadelo

Es blieb bei der Zimmerbelegung. Alle vier Frauen bestätigen mir nicht geschnarcht zu haben, die Frauen übrigens auch nicht. Charlotte bricht als erste auf, ich folge gegen 7.30 Uhr und die anderen drei lassen sich Zeit. Da der Kaffeeautomat in der Herberge defekt ist, wird es erst in Samos etwas Warmes zu trinken geben. Der Weg über Calvor ist eigentlich der Hauptweg und auch der schönere aber er ist erheblich länger als die Variante über Samos. Nach der Überquerung des Flusses Ouribo laufe ich 3,5 km entlang der LU-634, dann geht es durch ein Dorf und über einen Waldweg wieder zurück zur Straße bis zum Ort Renche. Hinter dem Ort geht es auf gut markierten Wegen durch das Tal des Ouribo bis zum Kloster Samos. Gegenüber dem Kloster gibt es ein Café und ich komme endlich nach über 2 Stunden Laufzeit zu meinem Frühstück. Das Kloster ist ein riesiger Komplex. Früher gab es hier 600 Patres, jetzt nur noch 25 und eine einfache Herberge mit 70 Plätzen. Beim Durchlaufen von Samos treffe ich auf Klaus und Götz aus Hamburg, die vor einem Café sitzen und auch frühstücken. Ich begrüße sie kurz und sage bis später, denn irgendwo werden wir uns heute bestimmt noch sehen. Ihre nächste gebuchte Unterkunft in dem kleinen Ort Rente ist nur einen Kilometer weiter als mein Tagesziel. Die nächsten 16 km nach Sarria laufen sich gut. Unterwegs überhole ich eine koreanische Familie, die ich schon mehrfach in den letzten Tagen gesehen habe. Der etwa 18-jährige Sohn scheint ein Problem mit der linken Wade zu haben und fällt leicht hinkend immer wieder zurück. Gegen ein Uhr bin ich in Sarria. Nach der überquerung des Rio Perqueo folgt eine endlos wirkende Treppe hinauf in die Altstadt. Es ist heiß und ich bin froh, links am Ende der Treppe einen Brunnen mit Trinkwasser zu finden. Ich fülle meine Wasserflasche, setze meine Brille ab und kippe mir eine Mütze voll Wasser über den Kopf. Erfrischt laufe ich durch die Altstadt aufwärts bis zu einer kleinen Kirche, wo der Pilgerweg nach rechts abzweigt. An der Kirche steht ein Steinkreuz, das auf der Vorderseite den Gekreuzigten zeigt und auf der Rückseite Maria. Diese Art des Doppelkreuzes findet man am Pilgerweg sehr oft. Nach weiteren 300 m komme ich zum Magdalena-Kloster, wo auf einem großen Platz am Ende von Sarria ein Flohmarkt stattfindet. Hier bemerke ich, dass meine Brille fehlt und erinnere mich, sie am Brunnen abgesetzt zu haben. Da hilft nichts, ich laufe wieder einen guten Kilometer abwärts, finde meine Brille und muss den Aufstieg in der prallen Sonne wiederholen. Wie heißt es so schön, was man nicht im Kopf hat muss man in den Beinen haben. Wieder am Flohmarkt angekommen, gönne ich mir eine Pause bei einem Teller Pulpo a la Feira und einem Glas Rotwein. Am Magdalena-Kloster vorbei geht es abwärts in die Natur. über eine alte Steinbrücke betrete ich einen schattigen Feldweg, der auf der linken Seite als Fußweg einen mit dicken Felsbrocken gelegten Damm hat, während rechts in der Fahrspur Wasser zu Tal fließt. Nun komme ich zu einer Bahnlinie, welcher ich nach links einen Kilometer folge. Hier, an der Überquerung der Gleise, entsteht eine neue Eisenbahnbrücke, die das ganze Tal überspannen wird. Die gewaltigen Betonsäulen stehen schon, einige sind auch schon mit Teilstücken der Trasse belegt und stehen wie ein riesiges T in der Landschaft. Hinter der Baustelle geht es durch einen Wald, mit uralten bizarr gewachsenen Baumstämmen, steil bergauf . Am Ende der Steigung läuft der Weg durch Felder bis zum Ort Barbadelo, mit verstreut liegenden kleinen Höfen, den ich durchquere ohne einen Hinweis auf die örtliche Herberge zu sehen. Ein ganzes Stück hinter dem Ort teilt sich die schmale Straße, links geht es zu einer kleinen Kirche und nach rechts führt der Pilgerweg wieder in den Wald. Hier komme ich zu einem hellen Gebäude mit einer Sonnenterrasse davor. Ich glaube zuerst, es ist das vor einem Kilometer angekündigte Casa Rural, stelle dann aber erfreut fest, dass es meine gesuchte Herberge ist. Beim Einchecken läuft mit Charlotte über den Weg, sie ist den alternativen Weg über Calvor gegangen. Die 18 Betten der Herberge sind schon nahezu belegt. Ich beziehe mein Bett, denn auch hier gibt es wie in allen galicischen Herbergen Einwegbettwäsche, dusche und mache große Wäsche. Als ich Socken, Hemd, Unterwäsche, und Hose dekorativ zum Trocknen auf den angrenzenden Weidezaun gehängt habe, ist die Herberge voll und alle nachfolgenden Pilger werden abgewiesen. Das bedeutet für mich, ich werde in den nächsten Tagen wohl nicht länger als 14 Uhr laufen, denn auf den letzten 100 km wird es sicher noch voller, da viele Spanier nur diese Distanz gehen um die Compostela zu erhalten. Das Bett über mir belegt eine junge Dänin, langes, rotblondes Haar, Typ Lehrerin. Sie heißt Gitte und wohnt nicht weit hinter der deutschen Grenze. Sie spricht etwas Deutsch fällt aber sofort wieder ins Englisch, aber ich glaube sie versteht jedes Wort auf Deutsch. Gitte ist übrigens die erste und einzige Frau, die den Pilgerweg mit Rock läuft. Ich mache mich mit Charlotte auf, die nahe Dorfkirche zu besichtigen. Eine freundliche Spanierin erklärt uns den Baustil und alle Heiligen in den Reliefs des Hochaltars. Wir erfahren von ihr, dass heute um 19 Uhr ein Gottesdienst mit Pilgersegen stattfindet und versprechen zu kommen. Wieder an der Herberge laufen die vier Australier vorbei in Richtung der privaten Pension mit Bar "Casa de Carmen", wo auch wir heute unser Abendessen einnehmen werden. Etwas später folgen die Hamburger Klaus und Götz, die in einem Kilometer ihr Ziel im Dorf Rente erreicht haben. Nur von Walter habe ich seit vier Tagen nichts mehr gehört.

Zu zwölft besuchen wir die Abendmesse, die der alte Pfarrer in einer halben Stunde absolviert. Danach gehen wir zum Essen zur Casa de Carmen. Das Restaurant öffnet erst Punkt acht, vorher ist auch kein Glas Rotwein zu bekommen, nur die Australier, die ja hier wohnen, haben vorgesorgt.

Die Tischrunde ist wieder international. Außer den vier Australiern sitzen Gitte aus Dänemark, Henk, ein 71-jähriger Belgier,der den Camino bereits dreimal mit dem Rad bewältigt hat, Chris aus Kanada mit ihrer Mitpilgerin Hella aus der Nähe Frankfurt, Frank (36) gebürtig in Chemnitz wohnt jetzt in Köln, Michael (38) aus Kassel, Charlotte und ich am Tisch. Der Beginn des Essens verzögert sich etwas, da der Wirt noch zwei Spätankömmlinge aufnimmt und die Auswahl der Pilgermenues Zeit kostet. Das Essen ist super und mehr als reichlich, der Rotwein ist gut und die Gespräche lebhaft. So wird es schnell 22 Uhr und wir haben noch nicht gezahlt. Die Herberge schließt aber um 22 Uhr. Also geht einer vor, um zu verhindern, daß wir vor verschlossener Tür stehen. Wie wir später erfahren, hat die Hospitalera fürchterlich geschimpft, den Schlüssel auf den Tisch geknallt und gebeten, nach dem letzten Rückkehrer abzuschließen. Um 22.30 lagen dann auch alle im Bett und es wurde trotz des vollbelegten Schlafraums eine ruhige Nacht.

Samos, Kloster San JUlián zwischen Sarria und Barbadelo
Camino zwischen Sarria und Barbadelo Camino vo Barbadelo

7. Mai 2008
Barbadelo - Gonzar

Kurz nach 6 Uhr wird es unruhig, die ersten packen schon im Dunkeln. Gegen 7 Uhr bin ich auch schon in der Morgendämmerung unterwegs. Gitte holt mich ein und fragt wo man frühstücken könne. Ich sage ihr, ganz sicher in 10 km in Ferreiros, vielleicht aber auch früher. Das ist ihr zu weit und sie geht wieder zurück zur Casa de Carmen, wo wir gestern zum Abendessen waren.
Nach einer knappen Stunde hole ich Charlotte ein und nach einer weiteren Viertelstunde treffen wir in der ersten offenen Bar Henk aus Belgien der gerade sein Frühstück beendet hat. Als wir die Bar verlassen, kommt auch Michael, der Edeka-Mitarbeiter aus Kassel, an. Charlotte und ich laufen weiter in Richtung Portomarin. Sie erzählt mir, dass sie ihre frühe Kindheit in Australien verbracht hat weil ihr Vater beruflich dorthin versetzt wurde und dass sie dort auch die ersten Jahre zur Schule ging. Das erklärt ihr gutes Englisch und dass sie Allen, den Vorläufer der Aussies, am Dialekt sofort als Australier erkannte. Sie erzählt von ihrem Sohn, ihrer Tochter, welche in Norwegen verheiratet ist und sie deshalb angefangen hat Norwegisch zu lernen. Ihr Mann, ein leidenschaftlicher Segler, bekam kürzlich eine neue Hüfte und kann ihr Hobby, Laufen und wandern nicht mehr teilen. Ihr hingegen macht das Segeln keinen rechten Spaß mehr, es fehlt ihr dabei die Bewegung. Wenn ihr Mann mir Freunden auf Segeltörn ist, setzt sie sich in den Flieger und besucht ihre Tochter oder läuft mal wieder ein Stück Jakobsweg. Sie ist vor vier Tagen in Villafranca del Bierzo gestartet und möchte dieses mal bis Santiago. Und während wir so erzählen kommen wir zu dem Meilenstein mit der magischen 100, der grafittiverziert und mit Steinmännchen gekrönt mitteilt, dass es nur noch einhundert Kilometer bis Santiago de Compostela sind. Ich bin meinem Zeitplan jetzt zwei Tage voraus und könnte zu Pfingsten ankommen.
Der Pilgerweg durch Galicien ist einzigartig. Er führt zwischen moosbewachsenen Natursteinmauern im Schatten knorriger Eichen durch Wiesen und Wälder, kreuzt immer wieder Bäche, entweder auf kleinen Stegen oder mittels Trittsteinen. Manchmal ist der Bach aber auch der Weg und wir laufen über große Steinblöcke in der Mitte oder es geht über corredoiras, das sind Wege aus großen verwitterten Steinen die schon zu Zeiten der Römer existierten. Dabei passieren wir zahlreiche malerische kleine Dörfer und über Allem liegt der intensive Duft von Landwirtschaft und Viehzucht.
Es ist gegen Mittag, als wir den Stausee von Portomarin erreichen. Völlig glatt wie ein Spiegel ruht die Wasseroberfläche, nicht die kleinste Welle kräuselt sie. Wir überqueren die Brücke welche den aufgestauten Fluss Miño überspannt und kommen zum neuen Ort Portomarin, der alte Ort versank in den 60er Jahren im Stausee. Nur die romanische Kirche San Nicolás wurde Stein für Stein abgetragen und weiter oben originalgetreu wieder aufgebaut. Wir haben Zeit und steigen die lange Treppe am Ende der Brücke hinauf und gehen unter den schattigen Arkaden der Hauptstraße zur Plaza Mayor mit der Kirche San Nicolás und dem mit Fahnen geschmückten Casa de Consello, dem Rathaus. In der Wehrkirche, die als massiger rechteckiger Bau, ohne Turm nur mit Zinnen gekrönt, den Platz beherrscht, lassen wir unsere Credenciale stempeln. Wieder stadtauswärts gehend kaufen wir noch etwas Proviant und verlassen Portomarin über eine 100 m lange stählerne Fußgängerbrücke, die einen Seitenarm des Stausees überspannt und deren Stahlplatten sich bei jedem Schritt durchbiegen. Nichts für ängstliche Naturen. Auf der anderen Seite geht es nach wenigen Metern links in einen steil ansteigenden Waldweg der uns nach 2 km zur Landstraße C-535 bringt. Wir folgen dieser Landstraße auf Wanderwegen mal rechts mal links und erreichen nach weiteren 5,5 km den Ort Gonzar. Inzwischen ist es schwül warm und es ziehen dunkle Wolken auf. Die 28 Tageskilometer reichen uns und wir checken um 14.15 Uhr als 3. und 4. Gäste in der Gemeindeherberge ein. Es ist wieder ein relativ neues Haus mit 20 Betten, Küche, Waschmaschine, Trockner und blitzsauberen Duschen. Während ich noch meine Wäsche wasche, beginnt ein Gewitter, wir waren gerade zur rechten Zeit hier. Also geht die Wäsche in den Trockner und wir setzen uns in den Aufenthaltsraum, essen Obst und Joghurt zu Mittag und schreiben unsere Notizen. Um 15.30 trifft Frank aus Köln ein und fragt ob wir nichts besseres zu tun haben. Er hat Glück gehabt und war von dem kurzen Gewitter nicht betroffen. Die Nächsten die ankommen sind Gitte die Dänin und Michael aus Kassel.
Charlotte, Frank und ich testen schon mal die erste Bar, gleich neben der Herberge. Bei einem Kaffee erfahre ich von Frank, dass er vor zehn Tagen per Flieger in Santiago angekommen ist und direkt vom Flughafen aus mit einem Leihwagen nach Leòn fuhr, wo er seinen Camino startete. Frank ist 36, ledig lebt in Köln und gibt Seminare für angehende Manager. Sein gutes Englisch lernte er in einem amerikanischen Unternehmen, wo er im Sicherheitsdienst arbeitete. Gebürtig und aufgewachsen zur DDR-Zeit in Chemnitz wurde er atheistisch erzogen, aber, wie er ausdrücklich betont, nicht wertefrei. Sein Vater sagte immer: Schau dir die Friedhöfe an und wie die Menschen mit ihren Ahnen umgehen, das sagt dir vieles über ihre Kultur. Frank steht nach eigenen Angaben der Freimaurerszene nahe, besuchte aber gestern Abend mit uns den Gottesdienst.

In dieser Bar, soviel steht fest, wollen wir nicht zu Abend essen. Sie ist gelinde gesagt ein Dreckstall. Aber bei unserem Rundgang durch den Ort werden wir fündig. Unweit der Kirche gibt es eine neue Pension mit offener Theke im Innenhof und großem, ansprechendem Essraum. Die Küchentür steht offen, alles in Edelstahl, vom Feinsten. Auch hier wird ein Pilgermenue angeboten. Zum Essen holen wir die anderen in der Herberge ab. Die Tischrunde ist fast die Gleiche wie gestern: Charlotte, Gitte, Frank, Michael, ich und neu in der Runde Jochen, ein junger Mann aus der Nähe Karlsruhe, der soeben erfolgreich sein Ingenieurstudium beendet hat und sich vor der Jobsuche noch mit einem Camino belohnt. Ihn habe ich schon in Leòn gesehen, wo er bei den Benediktinerinnen mit mir im gleichen Schlafsaal war.

Das Pilgermenue war wirklich ausgezeichnet, so gutes und zartes Rindfleisch habe ich in Spanien noch nicht gegessen. Alles zusammen 8,- €. Die zusätzlich bestellte Flasche Wein und den Kaffee nach dem Dessert will der Wirt nicht mal bezahlt haben. Das Trinkgeld ist dann eben entsprechend. Während die Frauen schon der Herberge zustreben, trinken wir vier Männer als Absacker noch ein Bier an der Theke im Hof. Morgen wollen wir uns eventuell alle in San Xulián wieder treffen.

Camino vor Portomarin Portomarin, Stausee
Portomarin Portomarin, Kirche San Nicplás

8. Mai 2008
Gonzar - Casanova

Bis 6.30 Uhr ist alles ruhig. Charlotte ist noch vor sieben weg. Ich packe in Ruhe und mache mich gegen 7.30 allein auf den Weg. Nach einem Kilometer in Castromayor gibt es einen großen café con leche, zwei Croissants und ein Glas Orangensaft. Weiter geht es über Feldwege parallel zur C-535 Richtung Palas de Rei. Ungefähr sieben Kilometer vor Palas de Rei heftet sich eine junge Frau an meine Fersen. Entweder hat sie mich Mundharmonika spielen hören oder sie hat meine Telekom-Mütze gesehen, jedenfalls spricht sie mich auf Deutsch an. Es ist Eva aus B., einer Kleinstadt aus dem Bergischen Land. Sie kann meinen Schritt halten und so laufen wir zusammen weiter. Seit einer halben Stunde regnet es, nicht heftig aber ausdauernd. Mein Regenponcho ist seit Pamplona wieder das erste mal im Einsatz. In Palas de Rei kauft jeder noch etwas Proviant ein und in einer Regenpause nutzen wir die Gelegenheit zu einem improvisierten Picnic. Kaum fertig damit, taucht Michael auf. Die anderen sind noch weit hinter ihm. Er läuft ein Stück mit uns und gibt dann wieder Gas. Bis San Xulián ist näher als ich dachte. Das Abrigadoiro, wo wir uns treffen wollen, ist keine Herberge sondern ein Privathostal mit Bar. Ich warte hier eine Weile unter dem Vordach, während Eva weiter in Richtung Melide wandert. Es ist erst 13.45 Uhr, eigentlich viel zu früh, um hier schon Schluss zu machen. Die 13 km bis Melide könnte ich auch noch schaffen und die Herberge dort mit ihren 130 Betten dürfte auch um vier Uhr noch nicht ausgebucht sein. Ich laufe also auch weiter. Der Waldweg führt durch ein Feuchtbiotop mit schilfumsäumten Tümpeln. Das Konzert der Frösche ist noch lange zu hören. Leider wird der Regen wieder stärker. Der gerade passierte Meilenstein zeigte die 60 und den Ortsnamen Casanova. Ein Blick in den Wanderführer sagt mir dass es hier eine staatliche Herberge mit 20 Betten gibt. Ich finde sie außerhalb des kleinen Ortes direkt am Pilgerweg und sie macht einen guten Eindruck. Als ich mich beim Einchecken in die Liste eintrage, sehe ich, dass auch Eva hier abgestiegen ist. Sie hat das letzte Bett im ersten Schlafraum erhalten, ich darf mir als Erster im zweiten Raum ein Bett aussuchen. Der Preis ist wie in allen staatlichen Herbergen in Galicien 3,- € und beinhaltet wieder die Einwegbettwäsche. Leider gibt es in der Herberge nicht einmal den sonst üblichen Getränkeautomaten und die nächste Bar ist laut Auskunft der Hospitalera 1.800 m entfernt abseits des Pilgerwegs. Nach mir kommen drei junge Schwaben, die darauf bestehen vor dem Duschen noch ein Bier zu trinken. Sie reden mit der Hospitalera, die darauf hin zum Handy greift und fünf Minuten später taucht ein größerer Van auf, der die drei zur entfernten Bar abholt. Nach dem Duschen und der kleinen Wäsche beschließen Eva und ich, da es inzwischen aufgehört hat zu regnen, zu Fuß auf einen Kaffee zu Bar zu laufen. Die Wegbeschreibung der Hospitalera war leider ziemlich ungenau weshalb wir an einer Abzweigung knobeln, ob wir rechts oder links gehen. Da rechts in einiger Entfernung ein kleiner Kirchturm und ein paar Häuser zu sehen sind, gehen wir nach rechts, denn wo eine Kirche ist, kann die Bar nicht weit sein. In der Ansiedlung angekommen sagt man uns, dass es hier nichts dergleichen gibt und wir den falschen Abzweig gewählt haben. Also laufen wir zurück und nehmen den linken Weg. Wir gehen durch einen hohen Eukalyptuswald als uns der Van entgegenkommt. Ich halte ihn an und schildere dem Fahrer unser Problem. Der Fahrer ist der Wirt der Bar, die aber jetzt geschlossen hat. Er fährt jedoch mit uns zurück, verkauft uns eine Flasche Wein und Wasser und bringt uns wieder zur Herberge. Außerdem verspricht er, uns um 19.00 Uhr zum Abendessen wieder abzuholen. Ich habe noch ein halbes Baguette, in der Küche gibt es Tassen und so sitzen Eva und ich auf der Bank vor der Herberge beim Wein. Sie ist Ende dreißig, alleinerziehende Mutter von zwei 13 und 17 jährigen Söhnen und hat sich eine 10-tägige Auszeit genommen. Für die Söhne hat sie vorgekocht und die Kühltruhe gefüllt, außerdem will ihr Ex auch mal nach dem Rechten sehen. Eva erzählt auch von den Schwierigkeiten in einer neuen Beziehung, und dem gescheiterten Versuch des letzten Urlaubs als Patchworkfamilie. Sie sieht den Camino als Gelegenheit, losgelöst von beruflichem und familiärem Stress, mit sich selbst ins Reine zu kommen und in Ruhe ihre künftigen Entscheidungen zu überdenken.

Der Taxiservice klappt wie versprochen und so sitzen wir bei guter Hausmannskost zu zwölft in netter Runde. Mit am Tisch sitzen drei brasilianische Schwestern, die gemeinsam nach Santiago pilgern. Die Jüngste lebt in Soest und hat in Deutschland studiert. Die älteste wohnt in Bielefeld und die Mittlere ist zu Besuch aus Brasilien. Es ist schön anzusehen, mit welcher Herzlichkeit die drei nach offenbar längerer Trennung miteinander umgehen. Sie erzählen von ihrer großen Familie in São Paolo, sie sind zu fünf Mädchen und vier Jungen. Die Eltern gingen beide zur Arbeit und so wurden sie praktisch alle von der ältesten Schwester erzogen.

Nach dem Essen bringt uns der freundliche Wirt in zwei Fuhren wieder kostenlos zurück zur Herberge.

Palas de Rei Hòrreo, der landestypische Maisspeicher

9. Mai 2008
Casanova - Arzúa

Heute morgen habe ich bis nach sieben Uhr geschlafen und die Herberge so ziemlich als Letzter verlassen. Eva ist schon lange weg, ihr Zeitrahmen ist enger als meiner. Nach zwei Kilometern betrete ich die Provinz La Coruña, in der auch Santiago de Compostela liegt. Die Bar in dem kleinen Dorf Coto hatte noch geschlossen, dann werde ich wahrscheinlich erst in 5 Kilometer, in Loboreiro mein Frühstück bekommen. Deshalb mache ich an einem schönen Rastplatz Pause und esse drei Fitnessriegel sowie Traubenzucker aus meiner Notration. Just in diesem Augenblick läuft ein einzelner Pilger heran. Ich traue meinen Augen kaum, es ist Walter. Er war in den letzten acht Tagen nie weiter als zehn Kilometer hinter mir, hat die letzte Nacht in San Xulián verbracht, wo ich mit den anderen verabredet war und kennt daher auch Frank und Gitte, die jetzt noch hinter uns sind. Gemeinsam gehen wir weiter. Walters Wade geht es besser und er fürchtet auch nicht mehr den Rummel zu Pfingsten in Santiago sondern möchte am Pfingstsonntag zur Pilgermesse ankommen, weil er gehört hat, dass an hohen Feiertagen der Botafumeiro, das übergroße Weihrauchfass, geschwenkt wird. Dafür nimmt er auch wieder 30 Tageskilometer in Kauf. Der Weg führt uns durch Wälder und Wiesen über alte Brücken und Trittsteine in Bächen nach Melide, einer Kleinstadt, die wir zügig durchqueren. Die Besiedelung ist hier in Galicien viel dichter als zwischen Burgos und Leòn. Während wir dort durch die endlosen Felder der Meseta liefen, sahen wir oft bis zum Horizont keinen einzigen Bauernhof. Das ist hier anders. Entlang des Weges und in den Dörfern sieht man zahlreiche kleine Gehöfte umgeben von kleinen Feldern. Ursache hierfür ist die hier praktizierte Erbteilung die, anders als bei uns, den Hof nicht an den ältesten Sohn vererbt, sondern das Land zwischen allen Kindern aufteilt. Die Folge sind Minihöfe mit so kleinen Parzellen, dass man von ihnen nicht mehr leben kann.

Als Besonderheit für volkstümliche Architektur sind die "hórreos" erwähnenswert, die Speicher für Mais und Feldfrüchte, die fast an jedem Haus zu finden sind. Es sind kleine auf Stützen stehende Häuser mit Satteldach, die Wände durchbrochen, sodass der Wind die Maiskolben gut trocknen kann. Die beiden Giebel sind meist mit Kreuzen oder verzierten Spitzen versehen. Waagerechte Steinplatten auf den Stützen verhindern, dass Mäuse hochklettern können. Bisher waren diese hórreos überwiegend aus Holz, sind aber, je weiter wir uns in Galicien befinden, zunehmend aus Granit gebaut. Selbst bei neuen Häusern darf der hórreo nicht fehlen, fast wie bei uns das Gartenhaus. Beim Verlassen von Melide kommen wir am Friedhof vorbei und schauen uns kurz um. Die Gräber sind alle kleine Monumente aus Granit. Der auf keltische Ursprünge zurückgehende Geisterglaube hat in Galicien auch noch heute seine Spuren hinterlassen. So scheint die enorme Häufung von Kreuzen neben der rein religiösen Bedeutung auch die Abwehr des Bösen zu symbolisieren.

Der Weg leitet uns durch mehrere malerische Dörfer nach Ribadiso da Baixo, wo direkt hinter der alten Steinbrücke am Fluss Iso ein ehemaliges Pilgerhospital zu einer hervorragenden Herberge umgebaut wurde. Ab Ribadiso geht es noch ca. 4 km entlang der N-547 bevor wir Arzúa erreichen.

Walter wirft einen Blick in die staatliche Herberge, einem gelungenen Umbau eines historischen Hauses, mit 46 Betten in mehreren Räumen, Waschmaschine, Trockner und schönem Garten. Ihm gefällt sie nicht und so sucht er sich eine Privatpension. Ich richte mich in der Herberge ein, benutze die sehr guten und sauberen Sanitäranlagen und hänge meine Wäsche im Garten unter eine überdachte Trockenvorrichtung. Inzwischen ist Jochen, der junge Ingenieur aus Karlsruhe und die koreanische Familie auch eingetroffen. Ich setze mich in ein Café an der Plaza und beobachte das geschäftige Treiben. Nach einiger Zeit taucht auch Walter auf, der zwei Ecken weiter ein Zimmer gefunden hat, sowie Günther, ein pensionierter Bürgermeister aus dem Erftkreis, den Walter unterwegs kennenlernte. Gegen 17 Uhr kommen auch Klaus und Götz aus Hamburg. Sie wollen morgen, am Samstag, bis Santiago durchlaufen. Das Abendessen nehmen wir in Walters Pension.
In der Herberge habe ich mit Erfolg das offene Fenster verteidigt.

zwischen Casanove und Melide Furelos
primitive Steinbrücke über den Bach Barreio Ribadiso da Baixo, Herberge

10. Mai 2008
Arzúa - Villamaior

Die Nacht in dem 14-Betten-Raum war ruhig, bis kurz nach 6 der erste Stirnlampen-Heini mit dem Packen begann. Um 7.15 Uhr holt Walter mich in der Herberge ab und wir nehmen in der ersten schon offenen Bar ein Frühstück. Bis zum nächsten Dorf Preguntoño führt der Pilgerweg entlang der N-547 und dann aber wieder auf wunderbaren Waldwegen und durch kleine Dörfer ins 17 km entfernte Santa Irene, wo wir ein zweites Frühstück oder vorgezogenes Mittagessen zu uns nehmen. Inzwischen regnet es. Draußen laufen Klaus und Götz vorbei, etwas später auch die koreanische Familie. Bei wechselndem Wetter, Poncho an, Poncho aus, geht es überwiegend auf Waldwegen weitere 6 km bis zum Dorf Amenal. Hier wurde 2002 ein neuer, sehr schöner Wanderweg angelegt, weil der Flughafen Santiago erweitert wurde. Dieser Weg führt uns zunächst durch Wälder läuft dann links an einer Straße entlang, die den Flughafen umgeht. Hier kommen wir zum ersten Ortsschild von Santiago, einem mannshohen Granitstein mit Muschel und Pilgerstab. Unmittelbar danach passieren wir die Einflugschneise des Flughafens, was zur Linken die Beleuchtungsanlage signalisiert. Auf einem Waldweg geht es nach Lavacolla, früher dem letzten Ort vor Santiago.
Angeblich sollen hier ehemals die Pilger nach der langen Wanderschaft ihre verschmutzte Kleidung gründlich gewaschen haben, bevor sie in die Kathedrale von Santiago einzogen, daher der Name Lavacolla, Lava von waschen und colla von Kragen.

Nach einem steilen Anstieg von einem Kilometer im Regen kommen wir in das Dörfchen Vilamaior mit dem Landgasthof "Casa de Amancio". Obwohl es erst kurz nach zwei ist, beschließen wir hier zu bleiben und nehmen 2 Einzelzimmer a 25,- €. Mein Zimmer ist ein Appartement mit einem riesigen Bett, Kochnische, Fernseher und einem komfortablen Bad. Das erste Mal seit fast vier Wochen Privatsphäre ! Schon seltsam, dem Fernseher kann ich gar nichts abgewinnen. Ich studiere den Stadtplan von Compostela, mache meine Notizen und halte einen kleinen Mittagsschlaf, bevor ich mich wieder mit Walter in der Bar des Hauses treffe. Ein paar weitere Pilger sind gleichfalls hier abgestiegen. Es war vielleicht doch keine so schlechte Idee, hier im dörflichen Frieden zu übernachten und dann in den Morgenstunden die restlichen neun Kilometer bis zur Kathedrale zu gehen. Der Ort ist winzig, zu sehen gibt es hier außer ein paar sehr schönen hórreos nichts und außerdem regnet es mal wieder. Wir nehmen einen Kaffee und unterhalten uns mit einer Pilgerin aus der Schweiz . Inzwischen treffen immer mehr Einheimische ein, denn in einem Nebenraum des wirklich noblen Gasthofs findet eine Familienfeier statt. Das Pilgermenue im Restaurant ist ausgezeichnet und dabei noch preiswert. Für das 3-Gang-Menue mit Tischwein und Kaffee sowie für die Getränke am Nachmittag zahle ich ganze 16,- €. Um 22.00 Uhr liege ich auf meinem King-Size-Bett, und um nicht aus der Gewohnheit zu kommen, in meinem Schlafsack. Mit dem Fernsehprogramm kann ich ziemlich wenig anfangen, dafür reicht mein Spanisch noch nicht. Nur den Wetterbericht verstehe ich und der verheißt für die nächsten Tage kühles und wechselhaftes Wetter.
Die Familienfeier im Gastraum unter mir ist in vollen Gange. Es gibt original galicische Musik mit "Gaita" dem Dudelsack und dem " Tamboril" einer kleinen Trommel. Der Rhythmus ist eigenartig und steigert sich zum Ende der Stücke zu einem schnellen Stakkato. Die Musik erinnert an die Musik aus keltischen Gebieten wie Irland oder der Bretagne und erfreut sich auch heute noch großer Beliebtheit in Galicien. Nach Mitternacht habe ich genug mitgefeiert und greife zu meinen bewährten Ohrstöpseln.

vor Arzúa Arzúa
Ortseingang Santiago de Compostela Papstdenkmal am Monte do Gozo

11. Mai 2008
Villamaior - Santiago de Compostela

Um 6.30 Uhr klingelt mein Handy-Wecker. Gepackt ist schnell. Da es zu so früher Stunde hier im Restaurant noch kein Frühstück gibt, esse ich meine restlichen Schokoriegel und den Traubenzucker. Es ist sieben Uhr und Pfingstsonntag als wir starten. Durch menschenleere Vorstadtstraßen laufen wir die vier Kilometer bis Monte do Gozo, durchqueren den Ort und erreichen nach 600 m den Gipfel des gleichnamigen, 370 m hohen Hügels. Monte do Gozo heißt "Berg der Freude" und bezieht sich auf das große Glücksgefühl, das die Pilger erfüllte, als sie nach den ganzen Strapazen das ersehnte Ziel ihrer Reise Santiago de Compostela vor sich liegen sahen.

Der italienische Geistliche Domenico Laffi schildert die Ankunft am Monte do Gozo in seinem 1673 erschienenen Reisetagebuch "Viaggio al Poniente" so:
"Als wir die Höhe eines Bergzuges mit Namen 'Berg der Freude' erreichten und das so herbeigeflehte Santiago offen vor uns liegen sahen, fielen wir auf die Knie, und die Freudentränen schossen uns aus den Augen. Wir begannen das Te Deum zu singen, aber kaum brachten wir zwei oder drei Verse hervor, denn allzusehr unterbrachen Tränen und Seufzer unseren Gesang und ließen das Herz erzittern."

Ganz so groß sind unsere Emotionen nun doch nicht, als wir an dem scheußlichen Denkmal stehen, das anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. 1982 errichtet wurde. Dennoch ist es ein erhebendes Gefühl, unter uns im Morgendunst Santiago zu sehen. Nach wenigen hundert Metern abwärts passieren wir den riesigen Herbergskomplex, der 1993 aus Anlass des Heiligen Jahres gebaut wurde und heute zum großen Teil als Studentenwohnheim genutzt wird. Es handelt sich um einen gigantischen Herbergsbereich mit 25 Wohnblöcken, Geschäften, Restaurants und einer Rot-Kreuz-Station. Insgesamt gibt es etwa 3.000 Betten, von denen 450 für Pilger zur Verfügung stehen, im Heiligen Jahr sogar 800.

Jetzt ist es noch eine knappe Stunde bis zur Kathedrale. Wir laufen weiter abwärts, überqueren die Autobahn und einen großen Kreisverkehr und kommen über die Rua San Pedro zur Porta de Camino, dem Beginn der Altstadt. Nach den letzten 500 m betreten wir die Praza da Immaculada an der Nordseite der Kathedrale und ich werde freudig von Charlotte und Eva begrüßt, die gestern schon angekommen sind. Wir umrunden die Kathedrale und gelangen noch vor 9.00 Uhr zum Pilgerbüro, das noch geschlossen hat. Hier treffen wir zu unserer Überraschung Klaus und Götz die Hamburger. Auch sie waren gestern am späten Nachmittag angekommen, als das Büro schon geschlossen hatte. Um neun strömt eine nun schon stattliche Anzahl Pilger in den Raum, in dem drei Angestellte uns Pilger einzeln abfertigen. Ein junger Mann prüft die Stempel meines Credencials und fragt mich inquisitorisch ob ich wirklich zu Fuß gelaufen bin und ob ich aus religiösen oder sonstigen Gründen gepilgert bin. Erst dann bekomme ich die in lateinischer Sprache auf den Namen "Joannem Petrum Weuthen" ausgestellte begehrte Compostela.

Walter beschließt, erst mal sein gebuchtes Hotel aufzusuchen, zur Pilgermesse um 12.00 wollen wir uns wieder treffen. Ich deponiere meinen Rucksack in der Gepäckaufbewahrung des Pilgerbüros, und betrete durch das Südportal die Kathedrale, in welcher gerade ein Gottesdienst stattfindet. Der Zugang zur Säule mit der Jakobusfigur und dem Kopf des Baumeisters Mateo, in deren Einbuchtungen die Pilger traditionell beim ersten Betreten der Kirche ihre Fingerkuppen legen, ist durch eine Absperrung verwehrt. Die Berührung von Millionen Händen über die Jahrhunderte, haben dem Stein so sehr zugesetzt, dass er vor weiterem Verfall geschützt werden muss. über einen Nebengang komme ich zur Warteschlange, die zur Rückseite der Jakobusstatue am Hochaltar führt. Ich steige die schmale Treppe hoch und umarme wie alle Pilger die Statue. Dabei werfe ich einen Blick über die Schulter des Heiligen in die vollbesetzte Kirche. Von unten sieht es bestimmt lustig aus, wenn sich jeden Augenblick andere Arme um die Schultern des Heiligen Jakobus legen. Vom Hochaltar führt mein Weg zur Gruft unter dem Altarraum, wo in einem silbernen Schrein die Reliquien aufbewahrt werden. Wieder zurück im Chor sehe ich, dass die Messe beendet ist und sich die Kathedrale wieder zum Hochamt um 10.00 Uhr füllt. Als ich so an einer Säule stehe und mich nach einem freien Platz umsehe, zupft mich Charlotte am Arm und zieht mich in die Bank, in der sie mit einem jungen Mitpilger sitzt. Wir befinden uns im Querschiff mit gutem Blick auf den Altar. Von der Kuppel über der Vierung von Haupt- und Querschiff hängt an einem dicken Seil der Botafumeiro, das berühmte große Weihrauchfass. Von hier unten wirkt er ziemlich klein aber ich erinnere mich gelesen zu haben, dass er etwa 1,60 m hoch ist und 54 kg wiegt.

Dann beginnt das Hochamt. Von irgendwo her ertönt Musik. Da sind sie wieder die Dudelsäcke, die mich die halbe Nacht wachgehalten haben. Eine Prozession schreitet den Mittelgang unseres Querschiffs entlang. Allen voran ein Kreuzträger gefolgt von einer Gruppe in braune, historische Kostüme gekleidete Musiker, welche auf Dudelsäcken und Holzblasinstrumenten eine eigentümliche, klagende Melodie spielen. Dahinter schreitet eine große Schar Ministranten und geistlicher Würdenträger, darunter ein Kardinal sowie etliche Priester. Den Abschluss der Prozession bilden vier Männer, die auf ihren Schultern einen Schrein tragen. Die ganze Gruppe hält neben uns im Mittelgang an und vier junge, kräftige Männer lassen den Botafumeiro am Seil hinunter. Ein Priester entzündet die Kohle und streut den Weihrauch darüber, worauf sich sofort eine große Wolke bildet. Das Fass wird angestoßen und von den vier Männern am Seil mit einer bewundernswerten Technik ins Schwingen gebracht. Nach wenigen Zügen pendelt das schwere Teil in einer Flugbahn von ungefähr 60 m durch den Mittelgang direkt an uns vorbei bis unter die Decke des Querschiffs. Ich begreife jetzt warum man so ein dickes Seil verwendet, denn in der Vergangenheit hat sich der Botafumeiro schon zweimal gelöst und ist durch das Fenster geflogen, Gott sei Dank ohne jemanden zu verletzen. Das Schwingen des Weihrauchfasses hat eine lange Tradition. Neben der üblichen sakralen Funktion des Weihrauchs diente es dazu, die Ausdünstungen der Pilger zu übertünchen, die nach Abschluss ihrer Wanderung auf dem Jakobsweg eine ganze Nacht wachend und betend in der Kathedrale verbrachten. Nach kurzer Zeit pendelt der Botafumeiro aus, wird gelöscht und wieder an seinen Platz in halber Höhe des Gewölbes gezogen. Eine Anzahl Leute, die sich offensichtlich nur für das Weihrauchspektakel interessierten, verlassen schon die Kirche. Die Priester und Ministranten betreten den Altarraum und die eigentliche Messe beginnt. Jetzt taucht auch Walter plötzlich auf und nimmt in unserer Reihe Platz. Das Stufengebet mit dem Confiteor wird, so wie ich es von früher kenne, in Latein gebetet und als auch das "Vater unser" von den Gläubigen in Latein gesungen wird, bin ich vollends ergriffen. "Pater noster, qui es in caelis sanctificetur nomen tuum..." klingt es hundertfach durch die Kirche. Das ist für mich das wahre Pfingsten. Christen aus aller Welt beten zu Gott in der gleichen Sprache und ich bete mit. Die Teilnahme an der Kommunion ist für viele der Höhepunkt ihrer Pilgerreise. Selbst Charlotte, die wie sie selbst sagt mit der Kirche nicht viel zu tun hat, hat auf meinen Anstoß hin teilgenommen und wie Walter wohl bemerkte, auch ein Tränchen vergossen.

Nach dem Gottesdienst gehen Charlotte und ihr junger Begleiter zur Umarmung der Jakobusstatue, weil wir ihnen erklärt haben, dass dieses zur Beendigung der Pilgerreise unbedingt dazu gehört. Es ist mittlerweile 11.30 und wir haben immer noch nicht gefrühstückt. Also erst mal in eine Bar, ein großes bocadillo con queso y jamón mit einem café con leche und die Welt ist wieder in Ordnung. Draußen treffen wir wieder auf Klaus und Götz und beschließen gemeinsam ein Bier zu trinken. Inzwischen ist auch die Sonne wieder da. Während wir in dem Straßencafé sitzen, kommen alle möglichen Pilger vorbei, die wir unterwegs trafen, die Kölnerin mit ihrem italienischen Begleiter, die koreanische Familie mit dem freundlichen Sohn, der immer lachte wenn wir uns begegneten, und plötzlich steht Theo aus Köln neben uns. Er hat uns vor Burgos überholt und kommt heute vom Kap Finisterre zurück, bis wo er durchgelaufen ist. Klaus und Götz verabschieden sich. Sie fliegen heute Nachmittag noch nach Mallorca und morgen Abend weiter nach Hamburg. Ich schaue mir das Hotel an in dem Walter wohnt, nur 5 Minuten von der Kathedrale, 2 Sterne, nicht übel. Es ist auch noch ein Einzelzimmer frei mit TV und fl. warm und kalt Wasser, Bad und WC auf dem Flur. Macht nichts, für 20,- € kann ich nicht das Hilton erwarten. Während ich meinen Rucksack aus dem Depot hole und einchecke, geht Walter zum "Pferdebrunnen", dem Fonte dos Caballos auf der Praza de Praterías, um sich vor die dortige Webcam zu postieren und seine Familie zu grüßen. Dort sieht ihn dann Charlotte, die wir nach der Messe verloren hatten. Er bringt sie mit zum Hotel und wir nehmen zusammen ein verspätetes Mittagessen. Später verabschieden wir Charlotte, die morgen mit dem Bus zum Atlantik fahren will. Ich kümmere mich um meine Wäsche und halte eine kleine Siesta. Ausgeruht gehe ich wieder zur Praza do Obradoiro. Der Pilgerstrom nimmt nicht ab, ebensowenig die Zahl der Touristen. Ich stoße unter all den angekommenen Pilgern und Touristen immer wieder auf Mitpilger, die ich unterwegs irgendwo getroffen habe, mit denen ich in der gleichen Herberge übernachtete oder gemeinsam beim Abendessen gesessen habe. Die Freude ist immer groß, man gratuliert sich, tauscht die Erfahrungen seit dem letzten Zusammentreffen aus und fragt wo hast du den und den zuletzt gesehen.

Irgendwann sehe ich Walter mit Günther, dem ehemaligen Bürgermeister mit Beratervertrag aus dem Erftkreis. Sie sitzen auf der Treppe an der Praza de la Quintana. Günther besticht durch sein gepflegtes Outfit. Er sieht immer aus, wie aus dem Katalog für Outdoor-Moden. Als Belohnung für die Anstrengungen des Pilgerwegs gönnt er sich ein paar Nächte im Nobelhotel Reyes Católicos, wo der Zimmerpreis wenigstens 240,- € beträgt.
Es ist erstaunlich, dass man sich in der Menschenmenge rund um die Kathedrale immer wieder trifft, erst taucht ein Männertrio aus Hochneukirch auf, das Walter und Günter unterwegs in einer Pension traf und dann kommt Theo vom Bahnhof. Er hat für morgen einen Platz im Zug nach Hendaye reserviert. Von dort fährt er über Paris nach Köln. Das ganze kostet 270,- € und dauert fast 30 Stunden. Mit dem aktuellen Ryanair-Tarif wäre er bedeutend preiswerter und schneller in Köln, aber vielleicht hat Theo ja Flugangst ?

Wir essen zu Abend im Restaurant neben unserem Hotel und ich liege um 22.30 im Bett. Gegen eins in der Nacht kommt noch ein Gast und macht fürchterlichen Lärm. Erst schleift er quietschend seinen Koffer den Flur entlang, knallt alle Türen und nimmt dann gegen 1.30 Uhr noch ein Vollbad. Da lobe ich mir meine Herbergen, dort war um zehn Ruhe.

Santiago de Compostela,
Obradoiro - Westseite der Kathedrale
Santiago de Compostela,
Praza da Immaculada mit Nordseite der Kathedrale
Santiago de Compostela,
Kloster San Martín Pinario
Botafumeiro

12. Mai 2008
Santiago de Compostela 2.Tag

Um acht Uhr habe ich ausgeschlafen. Das erste mal seit vier Wochen kein Packen und Weiterlaufen. Da von Walter noch nichts zu sehen ist, gehe ich schon mal frühstücken. An der Praza da Immaculada laufen mir Eva, Rudolf und Karla das schwäbische Winzerpaar und einige andere in die Quere. Sie wohnen im Seminario Mayor und sind auf dem Weg zum Busbahnhof, da sie heute zum Kap Finisterre wollen. Das haben wir für morgen eingeplant und da ich den Weg zum Busbahnhof auch noch nicht kenne, laufe ich mit. Nach 20 Minuten kommen wir an, ich verabschiede mich von Eva, die morgen früh zurück fliegt, wünsche der Gruppe einen schönen Tag und besorge mir an der Information die Fahrpläne nach Fisterra und zum Flughafen. Da das Restaurant des modernen 2-geschoßigen Busbahnhofs einen einladenden Eindruck macht, frühstücke ich hier. In aller Ruhe wandere ich zurück in die Altstadt, die mit der Kathedrale 1985 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Ich gehe auf dem selben alten Steinpflaster, über welches seit dem Jahr 830 Millionen von Pilgern die letzten Schritte zum Grab des Apostels Jakobus gingen und denke zurück wie es gestern war, als ich ankam. Die Ankunft in Santiago ist nicht zu vergleichen mit der Ankunft bei unserer alljährlichen Trier-Wallfahrt. In Trier werden wir von unseren Matthias-Geschwistern und der halben Gemeinde erwartet, beim Einzug unter Glockengeläut auf den Vorhof der Basilika klatschen die anderen Pilgergruppen Beifall. Nichts von all dem in Santiago de Compostela. Hier laufe ich völlig anonym als einer unter hunderten ein und mir wird plötzlich klar, dass war es. Es ist vorbei. Schon stellt sich Wehmut ein, denn alle, die meine Weggefährten der letzten Wochen waren, verabschieden sich nach und nach und treten die Heimreise an. Und dann erkenne ich:

Der Weg ist das Ziel

Das Zusammentreffen mit Pilgern aller Nationalitäten, es waren Australier auf dem Weg, Kanadier, Koreaner, Japaner, Brasilianer und Menschen aus allen Ecken Europas.

Die Erfahrung, die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu erreichen, zu erkennen wie all das was ich bisher für wichtig hielt, reduziert wird auf das Dach über dem Kopf, das tägliche Brot, das Wohl der Füße und das Wetter.

Das wenige was man zum Leben braucht, wie den Platz in den Herbergen und die nicht zahlreichen Sanitäreinrichtungen, mit anderen zu teilen.

Das Erleben von Ruhe in der Einsamkeit der endlosen Landschaft und das Wahrnehmen der Natur.

Die gegenseitige Rücksichtnahme, die Anteilnahme an den Blasen und Sorgen des Anderen, die aufmunternden Worte.
Das ist es, was den Camino zum unvergesslichen Erlebnis macht.

Und dann kommt mir das Zitat von Aurelius Augustinus in den Sinn, welches auf der Homepage unserer SMB zu lesen ist:
Das unruhige Herz ist die Wurzel der Pilgerschaft. Im Menschen lebt die Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus dem Einerlei des Alltags und aus der Enge seiner gewohnten Umgebung. Immer lockt ihn das Andere, das Fremde. Doch alles Neue, daß er unterwegs sieht und erlebt, kann ihn niemals ganz erfüllen. Seine Sehnsucht ist größer. Im Grunde seines Herzens sucht er ruhelos den ganz Anderen und alle Wege zu denen der Mensch aufbricht, zeigen ihm an, daß sein ganzes Leben ein Weg ist, ein Pilgerweg zu Gott.

Bis zu meiner Heimreise sind es noch zwei Tage und es gibt so viel zu besichtigen. Santiago de Compostela ist nach Rom und Jerusalem das drittwichtigste Pilgerziel der Christenheit und gilt als eine der schönsten Städte Spaniens, mit zahlreichen Kirchen, Klöstern und Monumenten, die überwiegend im barocken und klassizistischen Stil erbaut wurden. Vom Palast der galicischen Regierung an der Plaza do Obradoiro habe ich den besten Blick auf die Westfassade, dem Obradoiro (Goldgeschmeide) so genannt weil sie so kunstvoll und detailliert von den Steinmetzen Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut wurde. Sie wurde in der Form eines barocken Hochaltars vor die alte romanische Fassade gesetzt und schützt seitdem das berühmte Glorienportal, welches von Baumeister Mateo bis 1188 geschaffen wurde, vor weiterem Verfall durch Witterungseinflüsse. Im Mittelgiebel erhebt sich das Standbild des Apostels Jakobus in einer Darstellung als Pilger. Zu seinen Seiten und etwas unterhalb begleiten ihn seine Schüler Atanasius und Theodor. Es ist eine der wenigen Darstellungen, die Jakobus nicht als säbelschwingenden Reiter mit drei Mauren unter den Hufen seines Pferdes zeigen. An den Seiten erheben sich die etwa 75 m hohen Türme, von denen der südliche (rechts) nach seiner Funktion Glockenturm ("Torre de las Campanas") und der nördliche (links) "Torre de las Carracas" genannt wird - nach den Klappern oder Knarren mit denen in der Karwoche ("semana santa") das Läuten der Glocken ersetzt wird. Was mir auffällt, ist der braune Flechtenbewuchs an der ganzen Fassade und das wuchernde Unkraut, das von allen Simsen und Galerien herunterhängt. Offensichtlich ist der Granitstein weniger anfällig gegen Zerstörung durch Pflanzenbewuchs als das Sandstein- oder Ziegelmauerwerk unserer Kirchen. Auf mich wirkt jedoch das ganze Bauwerk dadurch verwarlost und heruntergekommen, kein Vergleich zu den strahlend hellen Kathedralen von Burgos und Leòn. Trotzdem zählt die Kathedrale von Santiago zu den schönsten Kirchen Spaniens und ziert sogar die Kupfermünzen der Spanischen Euro-Cents.

Im krassen Gegensatz zur Kathedrale steht der neoklassizistische Regierungspalast gegenüber der Westfassade der Kathedrale und die gepflegte Fassade des Nobelhotels Reyes Católicos an der Nordseite der Praza do Obradoiro. Dieses staaliche 5-Sterne Hotel der Parador Gruppe befindet sich im Gebäude einer ehemaligen Pilgerherberge aus dem Anfang des 16. Jh. .Die Leitung dieses Luxushotels setzt eine alte Tradition fort: Zu allen Mahlzeiten werden zehn Pilger kostenlos bewirtet. Dazu muss man sich um 9:00, 12:00 oder 19:00 Uhr am Personaleingang einfinden und die Pilgerurkunde vorweisen.

Auf der Treppe am Pferdebrunnen treffe ich erst die brasilianischen Schwestern und dann Frank der auf Gitte wartet, die bis 12.00 Uhr ihr Zimmer räumen muss. Die beiden wollen heute noch nach Fisterra fahren. Ich betrete die Kirche zur Pilgermesse und finde sie schon gut gefüllt. Etwa zehn Minuten vor Beginn der Messe übt eine Nonne mit einer wunderschönen Stimme mit uns die Lieder ein, die gleich gesungen werden. Die nachfolgende Messe ist wieder sehr feierlich und auch das Schwenken des Botafumeiro fehlt nicht. Störend sind nur die Touristenführungen, die auch während des Gottesdienstes stattfinden.

Nach der Messe treffe ich Walter und wir nehmen in einer Bar einen Imbiss. Am Nachmittag besuchen wir das Kathedralmuseum mit seinen Kostbarkeiten in vier Etagen und nehmen im Anschluss daran an einer Führung teil, die uns auf alle Dächer der Kathedrale bringt. Die Aussicht von hier oben in die Gassen der Altstadt, auf die umliegenden Parks und Hügel ist grandios. Statt mit Dachziegeln sind die Dächer mit 10 cm dicken Granitplatten eingedeckt über die wir wie auf Treppen laufen. Angesichts dieses Gewichtes würde ich gerne einmal die Unterkonstruktion der Dächer sehen. Der Gang über den Dachfirst sieht von unten spektakulär aus, ist jedoch völlig ungefährlich, da sich an den Traufen hohe Steinbalustraden befinden.

Nach dem Ausflug auf die Dächer spricht mich auf der Praza do Obradoiro John von den Australiern an und wir gratulieren uns zur Ankunft. Sie waren in Puente la Reina gestartet. Etwas später treffe ich den jungen Koreaner. Er fliegt morgen mit seiner Familie weiter nach Mailand. Walter und ich kaufen noch etwas Proviant für die morgige Fahrt nach Fisterra und laufen in den Almedapark, der auf einem Hügel gleich hinter unserem Hotel liegt. Von hier aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf die gegenüberliegende Altstadt und die Kathedrale. Zum Abendessen gehen wir in das Restaurant neben unserem Hotel.

Santiago de Compostela,
Praza das Preterias mit Pfredebrunnen
Santiago de Compostela,
Südeingang zur Kathedrale
Santiago de Compostela,
Pazo de Raxoi, Regierungsgebäude
Santiago de Compostela,
Convento de San Francisco
Santiago de Compostela,
Hotel Reyes Católicos, frühere Pilgerherberge
ein armer Hund

13. Mai 2008
Kap Finisterre

Um acht Uhr starten wir zum Busbahnhof. Das Ticket für Hin- und Rückfahrt kostet 20,20 €. Bis neun ist noch reichlich Zeit für ein Frühstück im Restaurant des Busbahnhofes. Beim Einsieg in den Bus treffe ich Maud aus Düsseldorf, eine der Frauen der Aktion "Kranke Frauen auf dem Jakobsweg", die mit mir in Triacastela in der gleichen Herberge war. Sie ist gestern angekommen und zu recht mächtig stolz darauf, dass sie es geschafft hat. Das Zusammentreffen mit dem Deutschlandfunk in Portomarin ist auch zustande gekommen. Eine Reporterin hat sie einen Tag lang begleitet und Maud fand die Fragerei erheblich anstrengender als das Wandern.

Das Wetter in Santiago ist heute morgen trüb und regnerisch, aber je näher wir der Küste kommen, umso freundlicher wird es. Wir sitzen in der zweiten Reihe auf dem Oberdeck eines modernen Reisebusses und genießen die Aussicht. Der Weg führt von Santiago nach Noya am Atlantik und dann die Küste entlang über Muros und Cée in drei Stunden nach Fisterra, einem hübschen kleinen Fischerort. Vom Ort geht es zu Fuß auf der Asphaltstraße vorbei an der kleinen romanischen Kirche Santa Maria das Àreas etwa 3 km aufwärts bis zum Kap Finisterre, dem "Ende der Welt", einem 140m hohen Granitfelsen mit Leuchtturm. Am Ortsausgang hält ein Wagen neben uns. Es sind die drei Pilger aus Hochneukirch die sich in Santiago einen Leihwagen genommen haben. Sie kommen schon vom Kap zurück und berichten, dass oben bis auf einen Getränkeautomat die Gastronomie geschlossen hat. Macht nichts, wozu haben wir unseren Proviant. Durch ein Meer von blühendem Ginster und wilden Margeriten windet sich die Straße aufwärts. Etwa auf halber Strecke kommen uns Frank und Gitte entgegen und wie immer gibt es ein großes Hallo. Die beiden sind in der Pilgerherberge von Fisterra untergekommen und verbringen ihren letzten gemeinsamen Tag, denn Frank fliegt morgen nach Hause. Wir tauschen unsere e-mail-Adressen und Frank verspricht, sich zu melden, wenn er mal wieder in Mönchengladbach zu tun hat. Nach einer halben Stunde erreichen wir das Kap. Vom Steinkreuz auf dem Felsen kommt uns, wie könnte es anders sein, Charlotte entgegen in Begleitung eines jungen Mannes, neben dem ich in der Herberge von Agés vor drei Wochen beim Abendessen saß. Die rastlose Charlotte war vorgestern mit dem Bus bis Muxia gefahren und ist von dort am Meer entlang bis zum Kap Finisterre gelaufen. Sie fährt heute nachmittag mit dem gleichen Bus zurück nach Santiago, also see you later. Plötzlich beginnt es aus einer einzigen dunklen Wolke heftig an zu regnen und zwingt uns in der Tür des geschlossenen Restaurants Schutz zu suchen. Nach dem kurzen Guss trocknen Wind und Sonne binnen Minuten alles auf und wir machen auf der Terrasse eine Pause. Danach nehmen wir noch einige Bilder vom Leuchtturm, vom Steinkreuz und der kleinen Bronceskulptur in Form eines Wanderschuhes, an welcher traditionell von der langen Pilgerfahrt zerschlissene Kleidung oder Schuhe verbrannt werden. Bei strahlendem Sonnenschein und tiefblauer See laufen wir wieder talwärts. Unterwegs sehen wir Maud und eine Mitpilgerin, die im Blumenmeer am Hang Nahaufnahmen von den Blüten machen. Im kleinen Castillo de San Carlos am Ortseingang von Fisterra, wo ich eigentlich nur den wunderschönen Blumengarten fotografieren wollte, überredet uns ein freundlicher Spanier doch sein Fischereimuseum im Inneren des Castells zu besichtigen. Eine halbe Stunde erklärt er uns seine Kostbarkeiten, wir erfahren alles über Reusen- und Netzfangtechniken und wissen bald Bescheid über die Vermarktung des Fanges in der modernen Fabrik am Hafen. Außerdem erfahren wir warum dieser ganze Küstenstreifen Costa de la Muerte "Todesküste" heißt. In der Seekarte sind die Positionen von hunderten Schiffswracks eingezeichnet, vom Mittelalter bis nach dem Krieg. Auch fünf versunkene deutsche U-Boote liegen hier. Wir verlassen das Museum und gehen zum Hafen. Auf einer Terrasse treffen wir zur großen Überraschung Bart aus Utrecht und Prisca aus der Schweiz. Die Freude auf beiden Seiten ist groß. Ich hatte sie zuletzt vor zehn Tagen in Villafranca del Bierzo gesehen, wo wir in der gleichen Herberge waren. Klaus, der Dritte im Bunde, ist mit ihnen am 9. Mai in Compostela angekommen und noch am gleichen Tag weiter nach Mallorca geflogen. Prisca muss übermorgen in Lissabon sein, von wo sie nach Zürich fliegt. Bart fährt mit dem Zug nach Hendaye und von dort über Paris nach Hause. Wir essen noch zusammen und verabschieden uns schweren Herzens als unser Bus kommt. Sie winken bis der Bus um die nächste Kurve biegt. So langsam schließt sich der Kreis. Ich habe alle wiedergetroffen, mit denen ich irgendwann Kontakt hatte. Charlotte ist nicht mit im Bus. Ihr Ticket ist von einer anderen Busgesellschaft und sie fährt über La Coruña und die Autobahn zurück nach Santiago. Unsere Rückfahrt erfolgt in einem alten, überlangen Bus mit 498.000 km auf dem Tacho, einem hakeligem Schaltgetriebe und einer gerissenen Windschutzscheibe. Der Fahrer des alten Kastens leistet im Berufsverkehr Schwerstarbeit. Als wir nach mehr als dreistündiger Busfahrt vom Busbahnhof zur Altstadt gehen, bin ich froh endlich wieder laufen zu dürfen. Zum Abendessen gehen wir wieder in das Restaurant neben unserem Hotel. Ein holländisches Bikerpaar zeigt uns einige Fotos von den wunderschönen Parks, welche die Altstadt umgeben und sie geben Walter einen Plan mit der eingezeichneten Route. Da er erst Samstag nach Hause fliegt, wird er bestimmt davon Gebrauch machen.

Kap Finisterre Vor dem Leuchtturm von Kap Finisterre
Kap Finisterre, Bronzeschuh
Hier wird die auf der Pilgerreise zerschlissene Kleidung verbrannt
Am Ende der Welt

14. Mai 2008
Santiago de Compostela, letzter Tag

Der unruhige Gast von Zimmer 113 war gegen zwei in der Nacht wieder aktiv. Außerdem trommelte der Regen die ganze Nacht auf die metallene Fensterbank. Ich habe geschlafen, wie neben einem Hamsterkäfig. Gegen neun gehe ich zum Frühstück in die Altstadt. Am Priesterseminar treffe ich die beiden Schwaben Rudolf und Karla auf dem Weg zum Flughafenbus, ihr Flug geht am frühen Nachmittag. Ich setze mich in eine kleine Bar direkt am Pilgerweg und beobachte die Neuankömmlinge sehe aber keine bekannten Gesichter mehr. Viele kommen mit letzter Kraft. Ein Mann trägt zusätzlich den Rucksack seiner Frau auf der Brust, seine Frau ist offensichtlich total erschöpft. Da war ich besser dran, ich darf mich nicht beklagen. Bis auf meine Blasen am Zeh hatte ich kein Problem. Um halb zwölf treffe ich Walter im Laden der Kathedrale, in dem Devotionalien und Andenken verkauft werden. Er sucht eine CD mit der Stimme der Nonne, welche mit den Gläubigen vor der Messe die Lieder einübt. Mit ihrem glockenreinen Sopran könnte sie auf jeder Opernbühne singen. Leider gibt es eine solche CD nicht, also besuchen wir wieder die Pilgermesse um zwölf und hören das Original. Die Kirche ist wieder gut besucht. Aber auch heute schieben sich wieder während des Gottesdienstes geführte Touristengruppen durch die Kirche. Ein Bischof, der als Mitglied einer großen Pilgergruppe anreiste, hält heute die Predigt. Das Thema sind die Apostel Jakobus und Matthias. Leider reicht mein Spanisch nicht aus viel zu verstehen, aber der Bischof scheint wie wir eine besondere Beziehung zum Apostel Matthias zu haben. Auch heute wird wieder der Botafumeiro geschwenkt. Das Fotografieren nimmt kein Ende, obwohl der Bischof mahnt, dieses sei kein Touristenspektakel sondern eine religiöse Handlung.

Nach der Messe treffen wir wieder auf Charlotte, die morgen über Mallorca nach Düsseldorf fliegt und wir verabschieden uns herzlich. Ich glaube, wir sind die letzten aus unserer "Clique" die noch vor Ort sind und langsam kommt auch bei mir Aufbruchstimmung. Während Walter nach dem Mittagessen im Hotel eine Siesta hält, durchstreife ich noch einmal die Altstadt, besichtige die Kirche Santa Maria del Camino unweit der Puerta del Camino und das Colegio de Fonseca welches die Universitätsbibliothek beherbergt. Zurück im Hotel begleiche ich schon mal meine Rechnung, da ich morgen früh bereits um sechs abreise. Nach einer ausgiebigen Dusche kümmere ich mich um meinen lädierten Zeh. Er sieht besser aus als ich dachte, aber vorsichtshalber klebe ich ein neues Pflaster darüber. Ich kann also meine hässlichen, silbernen Notlatschen einpacken und in den Wanderschuhen zurück reisen.

Zum Abendessen nehmen wir heute mal einen Lokalwechsel vor denn Walter möchte einmal eine Jakobsmuschel probieren. In dem kleinen Altstadt-Restaurant, wo es diese Spezialität gibt, treffen wir zum letzten mal Gitte aus Dänemark, die hier mit einer Landsmännin verabredet ist, mit der sie morgen via Lissabon zurückreist. Eine letzte Umarmung, gute Heimreise und alles Gute für deine Zukunft Gitte, vielleicht sehen wir uns ja auf dem Camino mal wieder. Wieder im Hotel angekommen, ist es an der Zeit, mich auch von meinem Mitpilger und Matthiasbruder Walter zu verabschieden.

Ein letztes mal packe ich meinen Rucksack, stelle meinen Telefonwecker und versuche zu schlafen.

Innenhof der Universitätsbibliothek Santiago de Compostela, Kirche San Fructuoso
Santiago de Compostela, Praza da Quintana Santiago de Compostela, Blick vom Alameda-Park

15. Mai 2008
Santiago de Compostela - Schwalmtal

Es hat wieder die ganze Nacht geregnet. Aus Angst den Wecker zu überhören habe ich ziemlich unruhig geschlafen. Um sechs Uhr weckt mich das penetrante Piepsen. Geht doch. Gepackt hatte ich gestern, also rein in die Klamotten und ab geht's. Der Regen hat, so scheint es, auch etwas nachgelassen. Ich bin zu Fuß als Pilger nach Santiago gekommen und so werde ich es auch wieder verlassen. Mit geschultertem Rucksack laufe ich über die menschenleere Praza da Obradoiro die Pilgerstraße zurück zur Puerta del Camino und von dort über die ausgekundschaftete Abkürzung zum Busbahnhof. Jetzt hätte ich reichlich Zeit für einen Kaffee aber leider hat noch alles geschlossen, auch der Ticketschalter. An der Information sagt man mir, ich könne das Ticket beim Fahrer lösen. Ich begebe mich eine Etage tiefer zu den Plattformen. Nach 20 Minuten füllt sich der Bussteig mit ausschließlich Pilgern. Eine junge Frau spricht mich an : "Hi, Du bist doch Peter, wir haben uns in Barbadelo getroffen". Ich beneide sie um ihr Personengedächtnis aber dann dämmert es auch bei mir. Es ist Hella aus der Nähe Frankfurt, die mit Chris der Kanadierin unterwegs war. Sie sind in Leòn in den Pilgerweg eingestiegen und in zwei Wochen nach Santiago gelaufen. Hella fragt nach Charlotte und den weiteren Bekannten und ich sage ihr, dass alle heil angekommen sind und zum Teil schon zu Hause sind bzw. wie wir heute ihre Heimreise antreten. Am Flughafen angekommen helfen wir uns gegenseitig, die Rucksäcke in Plastiksäcke zu hüllen. Die Gepäckannahme öffnet pünktlich um 7.40 Uhr. Nachdem ich meinen Rucksack los bin, nehme ich in der Cafeteria erst mal ein ausgiebiges Frühstück zu mir. Gänzlich ohne Handgepäck geht es zügig durch die Sicherheitskontrolle in den Warteraum. Hier treffe ich Jochen, den frischgebackenen Ingenieur aus der Nähe von Karlsruhe. Er hat zwar für privilegierten Einstieg gezahlt, steigt aber mit mir ziemlich als letzter ein, um nicht so lange im Flugzeug sitzen zu müssen. Die Maschine ist bis zum letzten Platz ausgebucht. Das Boarding geht schnell und pünktlich um 9.40 Uhr rollen wir zum Start. Nach einem ruhigen Flug landen wir um 11.45 Uhr in Hahn, zwanzig Minuten vor Plan. Mir bleibt ausreichend Zeit, den Bus nach Köln zu erreichen, der um 12.30 Uhr abfährt. Als ich das Flughafengebäude verlasse, bekomme ich einen Schock. Während es in den letzten Tage in Santiago nur knapp 15 Grad warm war, schlägt mir hier eine Hitze von fast 30 Grad entgegen. Ich verabschiede mich von Hella und Jochen und wünsche ihm viel Erfolg bei der Jobsuche. Der Bus ist nur zur Hälfte besetzt. Ich habe zwei Sitze und kann meine Beine wunderbar ausstrecken. Unterwegs ruft Renate, meine Frau, mich an und fragt, wo ich mich befinde und wann sie mit meiner Ankunft rechnen kann. Pünktlich erreicht der Bus um 14.30 den Breslauer Platz am Kölner Hauptbahnhof. Ein Blick auf den Fahrplan sagt mit, der nächste Zug nach Mönchengladbach geht um drei Minuten vor drei. Prima, das reicht noch um mir ein paar Croissants zu kaufen. Um 14.50 dann die Durchsage, der Zug verspäte sich aufgrund eines Stellwerkfehlers um ca. 10 bis 15 Minuten. Kunststück, auf Gleis 8 steht noch ein verspäteter ICE. Um 15.10 Uhr dann die nächste Durchsage, dass die Verspätung 30 bis 40 Minuten betrage. Um die Zeit müsste auf Gleis 9 bereits der nächste fahrplanmäßige Zug Richtung Mönchengladbach starten. Ich rufe zu Hause an, sage, dass meine Ankunftszeit ungewiss ist und ich mich melde, sobald ich näheres weiß. Dann kommt die Durchsage, dass der Zug ganz entfällt. Stattdessen wird jetzt auf Gleis 8 der Talys nach Paris eingesetzt. Mit zehnminütiger Verspätung setzt sich dann endlich von Gleis 9 der nächste Zug nach Mönchengladbach in Bewegung. Ich rufe wieder zu Hause an um mitzuteilen, dass ich voraussichtlich um 16.40 ankommen werde.
Denkste ! Im Bahnhof von Grevenbroich meldet sich der Zugführer übers Micro: er würde gerne weiterfahren, aber auf der Strecke vor uns läge ein Traktor im Gleis. Raucher könnten auf dem Bahnsteig rauchen, er würde rechtzeitig sagen, wenn es weitergeht. Erneut rufe ich zu Hause an, berichte von dem Missgeschick und sage ich werde mich erst wieder melden, wenn ich definitiv in Mönchengladbach angekommen bin. Nach weiteren 20 Minuten des Wartens sagt dann der Zugführer, der Traktor läge immer noch im Gleis, der Zug ende deshalb hier und für Ersatzverkehr bis Rheydt würden Busse und Taxen eingesetzt. Etwa 120 Fahrgäste stürmen nun auf den Bahnhofsvorplatz und prügeln sich fast um die vier Taxen, die uns im Pendelverkehr nach Rheydt bringen sollen. Ich bleibe zunächst gelassen, weil ich glaube, dass ja wohl noch ein Bus eingesetzt wird. Aber die Grevenbroicher Busse des VRR fahren lieber leer durch die Gegend. Als um 17.15 Uhr immer noch ca. 30 Leute warten, gebe ich entnervt auf, ich rufe meinen Sohn an und bitte ihn, mich in Grevenbroich abzuholen. Um 18.15 bin ich dann endlich zu Hause.

Man beachte: Von Santiago de Compostela Busterminal bis Köln , ca. 2.000 Kilometer in 7 Stunden und dreißig Minuten, für die 60 Kilometer von Köln nach Schwalmtal fast vier Stunden.

Hurra, ich bin wieder zu Hause !